Lindauer ärgern sich über Abwassergebühren
Abgaben steigen um mehr als 50 Prozent – Bürger drohen, vor Gericht zu gehen
LINDAU - Die Stadt hat die Abwassergebühren rückwirkend drastisch erhöht. Nun fragen sich einige Lindauer: Ist das rechtens?
Der Ärger über die Gebührenerhöhung ist groß. In der Facebook-Gruppe „Du weißt, dass Du aus Lindau bist“machen viele ihrem Unverständnis Luft, manche sprechen von „Wucher“. Auch der Lindauer Zeitung liegen entsprechende Zuschriften und Leserbriefe vor.
Laut Stadtverwaltung halten sich die Beschwerden aber in Grenzen. „Es gab einige wenige schriftliche Beschwerden, teilweise mit Androhung, vor Gericht zu gehen“, räumt Bettina Wind, Pressesprecherin der Stadt, auf Nachfrage der Lindauer Zeitung zwar ein. Trotzdem ist sie der Überzeugung, dass das Verständnis für die Gebührenanpassung „allgemein hoch“sei.
Ende November hatte der Stadtrat eine Gebührenerhöhung abgesegnet, die die Lindauer empfindlich trifft. Die Abwassergebühr wurde ab Januar 2024 auf 4,55 Euro pro Kubikmeter erhöht. Dieser Preis gilt auch rückwirkend für das Jahr 2023. Die Stadt spricht von einer Preissteigerung von 35 Prozent und bezieht sich dabei auf einen Ausgangspreis von 3,30 Euro.
Doch den gab es in der Praxis 2023 nie. Aufgrund der rückwirkenden Erhöhung überspringt die Stadt diesen Preisschritt. De facto erhöht sie die Abwassergebühren von drei Euro (2022) auf 4,55 Euro pro Kubikmeter – und wird somit um mehr als 50 Prozent teurer.
Bei einem jährlichen Wasserverbrauch von 182,5 Kubikmeter zahlt ein vierköpfiger Haushalt künftig rund 280 Euro pro Jahr mehr, rechnet Wind vor. „Pro Person und Jahr sprechen wir von 70,72 Euro mehr.“Der Musterhaushalt sei jedoch nur eine statistische Größe. „Jeder Bürger hat seinen Wasserverbrauch selbst in der Hand.“
Aus Sicht der Stadt gibt es keine Alternative zu den Gebührenerhöhungen. „Die Stadt ist gesetzlich verpf lichtet, kostendeckende Gebühren zu erheben“, betont Wind. Sie dürfe am Abwasser nichts verdienen, aber auch nicht draufzahlen.
Konkret bedeutet dies: Wenn in einer Stadt oder Gemeinde eine Kläranlage oder das Kanalnetz saniert oder ein Regenwasser-Rückhaltebecken gebaut wird, müssen die Kosten umgelegt werden. Wo kein Bedarf besteht, sinken die Gebühren auch wieder.
Doch in Lindau seien in den nächsten Jahren große Investitionen
nötig. Das liege zum einen an neuen gesetzlichen Vorgaben an die Qualität und Eff izienz der Abwasserreinigung, aber auch an den veralteten Anlagen und Technologien der bestehenden Abwasser-Infrastruktur.
Durch die starke Inf lation und die jüngsten Krisen mit einer drastischen Erhöhung der Energiekosten hätten sich Kostensteigerungen um mehr als 30 Prozent ergeben. Erschwerend komme dazu, dass das Servicegebiet des Klärwerks sehr weitläufig sei. 40 Pumpstationen müssten gewartet und instand gehalten werden.
Bleibt die Frage: Ist die rückwirkende Erhöhung rechtswidrig? Dass das rückwirkende Preisblatt erst am 19. Januar und somit nach Rechnungslegung veröffentlicht wurde, sei aus Sicht der Stadt kein Problem. Da diese die Erhöhung der Gebühren für 2023 bereits im Voraus angekündigt habe, sei die „rechtliche Wirksamkeit“gegeben, schreibt Wind.
Bei der Lindauer Zeitung haben sich Lindauer gemeldet, die Widerspruch gegen die Gebührenerhöhung eingelegt haben. Sie beziehen sich auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts von 2022: Es kam zu der Auffassung, dass für den Fall, dass eine vorhergehende Gebührensatzung wirksam war, eine rückwirkende Erhöhung nicht zulässig sei.
Der Stadt sei die Rechtsprechung bekannt, betont Wind. Sie habe sich dazu von einem externen Experten beraten lassen und komme zu dem Ergebnis, dass der Fall in dem Urteil „anders“lag. „Die Stadt Lindau geht davon aus, dass die Gebührenerhöhung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage durchgeführt worden ist.“
Eine Verschiebung der Gebührenerhöhung sei ohnehin keine Lösung für die Lindauerinnen und Lindauer, betont Wind: Jedes Jahr, das nicht rechtzeitig angepasst werde, führe zu einer entsprechenden Gebührensteigerung im Folgejahr. „Die Rechnung kommt in jedem Fall auf die Nutzer der Kläranlage, nämlich die Bürger und die Industrie- und Gewerbebetriebe, zu.“
Für Unverständnis bei vielen Lindauern sorgen die unterschiedlichen Abwasserpreise in anderen Städten, aber vor allem die der bayerischen Umlandgemeinden: Denn deren Abwasser f ließt auch in die Lindauer Kläranlage, doch sie bezahlen teils deutlich weniger dafür als die Lindauer.
Bettina Wind versichert, dass sich auch bei anderen bayerischen Kommunen ein deutlicher Anstieg der Abwassergebühren, teilweise auf über fünf Euro, abzeichne. Das habe sich bei der Landesverbandssitzung des Berufsverbands für Abwasserwirtschaft in Deutschland gezeigt. „Viele Kommunen berechnen die Gebühr in einem vierjährigen Turnus, sodass die Anpassung bei manchen Bürgerinnen und Bürgern noch bevorsteht.“
Achberg hat es bereits getroffen. Die Gemeinde hat jüngst ihren Abwasserpreis von 3,90 auf 5,50 Euro pro Kubikmeter erhöht – obwohl die Preise eigentlich bis 2026 stabil bleiben sollten. Achberg übergibt sein Abwasser in Doberatsweiler an die Stadt Lindau, die es in ihre Kläranlage einleitet. Als die Gemeinde 2021 ihren Abwasserpreis für vier Jahre kalkulierte, hatte sie mit einer moderaten Erhöhung in Lindau gerechnet. Nach der drastischen Preissteigerung in Lindau hat Achberg nun ein dickes Minus in der Abwasserkalkulation stehen. 3,90 Euro reichten nicht, um die Rechnung in Lindau zu bezahlen und gleichzeitig in das eigene Leitungsnetz zu investieren, argumentierte die Kämmerin bei der jüngsten Gemeinderatssitzung.
An welcher Stelle liegt Lindau im Abwasser-Ranking in Deutschland? Vergleiche mit anderen Städten in Deutschland seien auch wegen der unterschiedlichen Abrechnungsmodi schwierig, argumentiert die Stadtverwaltung: Lindau hat eine Gebühr für Abwasser und Regenwasser als einen Abwasserpreis, andere Städte oder Gemeinden dagegen eine Kostensplittung.
Das gilt auch für die Stadt Mönchengladbach, die als teuerste Großstadt beim Abwasser gilt: Hier kostet der Kubikmeter 4,25 Euro. Addiert man die Gebühren für Regenwasser (1,91 Cent), so ergibt das einen Gesamtpreis von 6,16 Euro. Davon ist Lindau noch weit entfernt.