In Gottes Namen
RAVENSBURG - Die Aufnahme in die christliche Gemeinde fühlt sich bisweilen etwas unbehaglich an, das war schon immer so und das gilt auch für die Taufe des kleinen Johann. Als er das obligatorische Kreuz auf die Stirn erhält, möchte sich der Dreijährige am liebsten in den Armen seiner Mutter Christina Neff verkriechen. Und auch als das Taufwasser auf die Stirn des Jungen tröpfelt, ist sein Unbehagen in der katholischen Kirche St.-Nikolaus in Ravensburg-Schmalegg gut vernehmbar. Soweit, so normal, ein Taufprozedere wie dieses hat das Gotteshaus, das erstmals 1413 Erwähnung findet, unzählige Male erlebt. Und doch ist an diesem Samstagmittag Ende Februar etwas eklatant anders als in den Jahrhunderten zuvor. Etwas, das manche als ungeheuerlich empfinden mögen, andere dagegen schon lange herbeisehnen. Denn die Taufe nimmt Pastoralreferentin Angelika Böhm vor. Also eine Frau und Laien-Theologin.
„Das fühlt sich gut an“, sagt Böhm nach der Zeremonie, im Bewusstsein, in der katholischen Kirche in Deutschland Neuland betreten zu haben. Weil an den Wendepunkten des Lebens eigentlich nur geweihte Personen die Sakramente Abendmahl, Firmung, Ehe, Buße, Weihe und Krankensalbung spenden dürfen. Was somit auch für die Taufe gilt, die nach Kirchenrecht nur Bischof, Priester oder Diakon unterliegt. Außer im Notfall. Dieses, wenn man so will, Schlupf loch hat der inzwischen emeritierte Bischof Gebhard Fürst der Diözese Rottenburg-Stuttgart genutzt, als er Ende vergangenen Jahres 26 Gemeindereferenten – 22 Frauen und vier Männer – zu Taufspendern und -spenderinnen ernannte. „Das ist ein wichtiger Dienst, den Sie leisten“, sagte Fürst, bedeutet die Taufe zu spenden doch, Gottes Gnade in einem Menschen zum Wirken zu bringen. „Kann es etwas Schöneres geben?“, so der Bischof.
Die Diözese verbindet mit der Laientaufe jedenfalls ein „wichtiges Signal“für Wandel und Gleichberechtigung in der katholischen Kirche. Sie wird dadurch „ein Stück authentischer“, ist Ursula Renner, Vertreterin der Gemeindereferentinnen und -referenten, überzeugt. Und Johannes Warmbrunn, Sprecher des Diözesanrats, sieht darin einen „weiteren Meilenstein“im Miteinander aller Gläubigen auf Augenhöhe. Gleich ganz so weit wollen dann aber nicht alle gehen.
„Toll, dass Frauen durch die Taufe nun ein Gesicht erhalten“, sagt Pfarrer Reinhold Hübschle von der Seelsorgeeinheit Ravensburg-West. Einen Meilenstein kann er aber nicht erkennen. „Das sind nur Millimeter“, erklärt er. „Aber immerhin bewegt sich die Kirche.“Endlich, denn kirchenrechtlich wäre es schon lange möglich, Frauen zur Taufe zuzulassen, kirchenpolitisch herrsche jedoch ein Dogma: „Männer über alles.“
In dieser Tradition ist auch noch Marcus Neff, Vater des kleinen Johann, aufgewachsen. Sein Vater war Diakon und er selbst Ministrant, und das zu einer Zeit, als sogar für diesen Dienst keine Mädchen zugelassen waren. Die Taufe durch eine Frau will das Ehepaar nun ganz bewusst unterstützen. „Wir verstehen gar nicht, warum es erst jetzt diese Möglichkeit gibt“, sagt Neff. „In der heutigen Zeit sollte sich die Kirche noch viel mehr öffnen für Frauen“, betont er, auch in Richtung Diakonat und Priesteramt.
Pastoralreferentin Böhm wäre dafür berufen, die 63-Jährige hat genauso Theologie studiert wie ein Pfarrer, nur eben ohne Weihe. Entsprechend hofft auch sie auf den Zugang zu weiteren Sakramenten für nichtgeweihete Theologinnen und Theologen. „Aber das ist ganz weit weg“, sagt sie.
„Das sind weltkirchliche Entscheidungen.“Die hierzulande Kontroversen hervorrufen, und das schon bei den ersten Gehversuchen.
So wurde zwar die Laientaufe bereits in der Diözese Essen eingeführt, auch in Osnabrück, in Würzburg und anderswo ist sie im Gespräch. Stand heute wird die Mehrheit der Bistümer diese Möglichkeit aber nicht wahrnehmen, das Thema ist von Zurückhaltung oder Widerstand begleitet. So kommentierte das Internetportal kath.net den Reformansatz scharf: „Verrat an den Sakramenten: Die Einführung der ,Laientaufe’“, hieß es da, und „Billiger Etikettenschwindel auf Kosten der Täuf linge“. Der Münchner Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland befürchtet gar in einem Gastbeitrag für die „Herder Korrespondenz“„die sakramentale Grundgestalt der Kirche in Gefahr“. Priester würden schließlich nicht aufgrund einer bischöf lichen Beauftragung handeln, sondern durch ihre sakramentale Weihe in der Person Christi.
Widerspruch erfährt er vom Tübinger Pastoraltheologen Michael Schüßler, der als Erwiderung schreibt, die „Ausweitung des Möglichkeitsraums bezeugt wohl eher die sakramentale Grundgestalt der Kirche, statt sie zu gefährden – falls es wirklich um Sakralmentalität geht, und nicht allein um die Rettung von Standesmacht“.
Drohender Machtverlust mag hier tatsächlich eine Rolle spielen, die Befürchtung mancher Kleriker, dass sich die Hierarchien verändern, sobald sich durch die Laientaufe der erste Raum nur öffnet. „Da tut sich ein Konkurrenzdenken auf, das ich ganz traurig finde“, sagt Theologin Böhm, die für das Gerangel aber auch einen festgefahrenen Richtungsstreit verantwortlich macht. „Manche würden die Kirche gerne öffnen, hin zu einem modernen Denken, hin zur Gesellschaft. Andere plädieren für die Tradition – alles soll so bleiben wie immer.“
Wie verhärtet sich die Positionen gegenüber stehen, zeigte kürzlich die Bischofskonferenz in Augsburg, als der Vatikan das Reformprojekt des Synodalen Weges von der Tagesordnung kippte, zur Genugtuung mancher Bischöfe. „Der Papst kann sich im Einklang mit Teilen der deutschen Kurie fühlen, das ist der eigentliche Skandal“, sagt Böhm, die in dem Veto aus Rom eine kategorische Anweisung sieht. „Reformen waren vom Vatikan nicht zu erwarten. Aber es gab die Hoffnung, dass Bischofskonferenzen in ihren Ländern Einzelentscheidungen treffen können. Dass eine deutsche Kirche sagen kann, ,für unsere aufgeklärte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr vermittelbar, warum Frauen oder verheiratete Männer keine Sakramente spenden dürfen’. Nun ist aber klar: Es darf nicht über Reformen nachgedacht werden. Der Vatikan beschränkt das Recht der Bischofskonferenzen, weltweit. Individualkirchlich geht nun gar nichts mehr.“Und damit auch nichts auf dem Synodalen Weg, der für mehr Gleichberechtigung, Demokratie und Transparenz in der Kirche stand. „Das ist deprimierend.“
Bei Pfarrer Hübschle sitzt die Enttäuschung ebenfalls tief. „Es ist nicht auszuhalten. Es ärgert mich maßlos“, sagt der Geistliche. „Aber wenn man möchte, dass alles bleibt, wie es ist – dann marginalisiert sich die Kirche. Und so wird es kommen.“
Und das schon allein, weil es an Personal fehlt, weil nur noch ganz wenige, ob Frauen oder Männer, Theologie studieren wollen. „Der Bedeutungsverlust ist gewaltig. Das ist ein Desaster.“
Lawinenartig beschleunigt durch die Missbrauchsskandale, aber auch durch verkrustete Denkmuster, wie Hübschle sagt. „Das größte Problem ist, dass unser Gottesbild nicht mehr kompatibel ist mit der modernen Welt.“Dass Bilder aus früheren Zeiten nicht mehr plausibel erscheinen. „Kein Mensch kann heute verstehen, was ein Gottvater eigentlich sein soll. Schon das Wort Gott ist problematisch, weil sich unser Weltbild massiv verändert hat.“Heute drängen andere Phänomene in den religiösen Diskurs, Fragen
wie nach der Liebe, der Ewigkeit oder auch dem Licht. Nach den Geheimnissen der Welt, die zwar alle kennen, aber um die niemand richtig weiß. „Das Reden über Dimensionen jenseits von Raum und Zeit und dafür passende Bilder finden, mit denen die Leute etwas anfangen können. Das ist unser Auftrag.“Für dessen Erfüllung es keine institutionellen Mauern braucht.
Auch Angelika Böhm sieht die Zukunft der Kirche bei den Menschen vor Ort und in der Übersetzung der Traditionen. „Meine Vision ist das Recht Gottes, wie es Jesus von Nazareth verkündet hat“, sagt die Pastoralreferentin. „Und dazu gehört zuallererst die Nächstenliebe. Was in heutiger Sprache heißt: Menschlichkeit, Würde, Achtsamkeit, Gerechtigkeit und Frieden. Dafür stehen wir nach wie vor.“Und um diese Werte geht es auch bei der Taufe, auch an diesem Samstag in St. Nikolaus.
Johann ist schon drei Jahre alt, doch während der Corona-Pandemie geriet die Taufe den Eltern etwas aus dem Blick, aber nicht in Vergessenheit. „Wir wollten unserem Sohn nicht die Gelegenheit nehmen, das zu leben, was hinter der Kirche steht, wenn er es denn möchte“, sagt Vater Marcus Neff. Was nun die ganze Familie bereichert, wie Christina Neff sagt. „Da unser großer Sohn Jakob vor der Kommunion steht, sind wir alle der Kirche wieder näher gekommen.“Auch wenn die Identifikation mit der Obrigkeit schwer fällt, weil eben so vieles im Argen liege. Für die Neffs steht aber etwas ganz anderes im Mittelpunkt, wie der Vater erklärt: „Meine Mutter sagt immer, das eine ist die Institution. Die Kirche aber ist die Gemeinde – und wie sie den Glauben miteinander lebt.“
Für Johann ist dieser Weg bereitet, nach der Zeremonie im Kreis der Angehörigen scherzt er entspannt zwischen den Kirchenbänken mit dem Bruder. Die christlichen Werte werden nun sein Leben begleiten, auf welche Weise auch immer. Dass am Anfang aber eine Frau das Taufwasser auf seine Stirn tröpfelte, dürfte seinen Glauben kaum erschüttern.
Erstmals dürfen Frauen und Laien in der Diözese Rottenburg-Stuttgart das Sakrament der Taufe spenden. Für die katholische Kirche ein Schritt zu mehr Gleichberechtigung in konfliktreichen Zeiten. Ortstermin in St. Nikolaus.