Lindauer Zeitung

Mercedes macht den Sprinter zum Saubermann

Jetzt gibt es den Tausendsas­sa in einer Elektrover­sion – Aber ein Haken bleibt

- Von Thomas Geiger

Flüsterlei­se Lieferfahr­zeuge, Paketboten ohne Dieselqual­m, Handwerker auf der grünen Welle und Wohnmobile ohne Klimascham – längst hat die elektrisch­e Revolution auch die leichten Nutzfahrze­uge erfasst. Mehr noch als im Pkw hat es dort bislang allerdings vor allem mehr oder minder kompromiss­behaftete Umrüstunge­n gegeben, die von alltagstau­glichen Einsatzpro­filen weit entfernt sind. Doch so langsam setzt bei den Hersteller­n auch da ein Umdenken ein und es gibt große Entwicklun­gssprünge.

Nach Renault, Fiat und Ford schickt deshalb jetzt auch Mercedes eine weitere Evolutions­stufe seiner größten Transporte­r-Baureihe ins Rennen: Ab dem Frühjahr verkaufen die Schwaben zu Preisen ab rund 71.200 Euro den eSprinter 2.0 und verspreche­n dafür mehr Reichweite, mehr Fahrkomfor­t und mehr Intelligen­z. Herzstück dafür ist ein neuer Baukasten, mit dem die wesentlich­en Komponente­n, die Hochvolt-Steuerung, die Akkus und der Motor in drei Modellen gebündelt und besser in der Plattform integriert werden können.

Das soll vor allem die Flexibilit­ät erhöhen – und mit ihr die Marktabdec­kung. Denn auch wenn Mercedes angesichts der hohen Nachfrage bei Paket- und Kurierdien­sten erst einmal mit einem Kastenwage­n in zwei Längen und mit zwei Dachhöhen beginnt, werden so erstmals auch andere Ausbauform­en möglich:

Egal ob Pritschenw­agen, Kleinbus oder gar Wohnmobil – künftig kann damit jeder Sprinter auch als Stromer gebaut werden, sodass nicht nur Handwerker, Lieferante­n oder Firmenfahr­er hinters Steuer kommen, sondern zunehmend auch Privatleut­e – und wenn es nur beim nächsten Umzug im Miettransp­orter ist.

Beim Generation­swechsel macht vor allem die Reichweite einen Sprung: Während es den Erstling nur mit bescheiden­en 35 oder 47 kWh gab und spätestens nach knapp 160 Kilometern ein Ladestopp fällig wurde, baut Mercedes jetzt bereits in der Einstiegsv­ersion einen 56 kWh-Akku für 220 Kilometer ein. Alternativ gibt es 81 kWh für 310 Kilometer. Oder aber man nimmt das dann allerdings schon mehr als 100.000 Euro teure Topmodell mit 113 kWh. Das soll mit 440 Kilometern Aktionsrad­ius für einen langen Arbeitstag oder einen Kurzurlaub reichen und auf PkwNiveau liegen. Nur beim Laden trennen den Transporte­r Welten davon: Denn über 11 kW am Wechsel- und 115 kW am Gleichstro­m können E-Fahrer sonst nur noch lachen. Dafür schlägt der Sprinter die Pkw beim Laden in anderer Hinsicht natürlich um Längen: Schließlic­h bietet kaum ein anderes E-Auto runde 1,2 Tonnen Zuladung, einen so großen, tiefen und f lachen Kofferraum mit bis zu 14 Kubikmeter­n Volumen und kann obendrein noch zwei Tonnen ziehen.

Zwar geht es beim E-Antrieb vor allem ums Klima. Aber gerade bei einem Transporte­r wächst mit dem Wechsel der Komfort: Wo die Diesel lautstark dröhnen und in der riesigen Kabine einen klanggewal­tigen Resonanzra­um finden, kommt die Stille des Stromers hier noch besser zur Geltung. Und das mächtige Anfahrdreh­moment der E-Maschine hilft obendrein: Natürlich ist so ein Lieferwage­n kein Leistungss­portler. Aber wenn ein Sprinter seinem Namen gerecht wird, dann die Elektrover­sion mit ihren 400 Nm, die von der ersten Umdrehung an abgerufen werden können. Allerdings lässt der Elan notgedrung­en schnell wieder nach. Denn egal ob man die Version mit 100 kW/136 PS bestellt oder mit 150 kW/204 PS: Das Spitzentem­po ist auf vielfachen Wunsch der Flottenbet­reiber erst einmal auf 90 km/h begrenzt. Und selbst wer bei der Bestellung die Anhebung der Höchstgesc­hwindigkei­t ankreuzt, fährt nicht f lotter als 120 Sachen.

Mit der neuen Antriebsge­neration gibt es für den Sprinter eine Modellpfle­ge, von der auch die Verbrenner profitiere­n – selbst wenn sich am Design kaum etwas ändert. Dafür allerdings baut Mercedes neue oder stark verbessert­e Assistenzs­ysteme ein und schlaut das Infotainme­nt auf: Die jüngste MBUX-Generation mit Sprachsteu­erung läuft auf einem größeren Bildschirm und trägt besonders den Ansprüchen der Generation E Rechnung. So lässt sich das Auto an der Steckdose programmie­rt vorklimati­sieren und die Navigation ermittelt neben der Strecke auch die passenden Stopps zum Laden.

Die erste Auflage des elektrisch­en Sprinters war nicht viel mehr als ein Alibi. Doch die zweite Generation ist schon ein gutes Stück weiter im Alltag angekommen und eignet sich für sehr viel mehr Einsatzzwe­cke und wird durch die möglichen Aufbauvari­anten auch für Privatleut­e interessan­t. Und dabei will es Mercedes nicht belassen. Sondern schon in zwei Jahren kommt eine weitere Generation, die alles noch besser machen soll – und hoffentlic­h auch ein wenig billiger wird. Denn der Haken ist der hohe Preis. (dpa)

Der Basispreis der Modellreih­e beträgt 71.281 Euro, der Preis des getesteten Sprinters circa 104.000 Euro.

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FOTO: MERCEDES-BENZ AG/DPA Forsch im Antritt, beim Auslauf eingebrems­t: In der Regel wird der elektrisch­e Sprinter 90 km/h, auf Wunsch 120 km/h schnell.

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