Lindauer Zeitung

Was hinter PIWI-Weinen steckt

Weinreben sind anfällig für Pilzkrankh­eiten und werden deshalb gespritzt, doch es gibt eine naheliegen­de Lösung

- Von Christiane Meister-Mathieu

DÜSSELDORF (dpa) - Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären Blätter und Weintraube mit Mehl bestäubt. Der Grund: der Echte Mehltau. Ist ein Rebstock von der Pilzkrankh­eit befallen, können sich Früchte verhärten, verfärben und platzen. Die Folge: eine schlechte Traubenqua­lität. Pilzkrankh­eiten wie der Echte und Falsche Mehltau können dadurch Ursache für schlechte Weinqualit­ät sein, aber auch für ganze Ernteausfä­lle.

Um die Weinberge und damit Einnahmen zu schützen, setzen Winzer Pflanzensc­hutzmittel ein. Wie viel sie spritzen, schwankt. In einem trockenen Jahr wie 2022 braucht es weniger Schutz als in einem verregnete­n Jahr wie 2023. Trotzdem ist die Menge – gerade im Vergleich zur übrigen Landwirtsc­haft – beim Weinbau groß. Und das ist ein Problem für den „Green Deal“der EU. Der sieht vor, dass chemischer Pflanzensc­hutz bis 2030 massiv zurückgehe­n soll.

Wein als Kulturgut und Lebensgrun­dlage auf der einen Seite, Nachhaltig­keit auf der anderen – das klingt unvereinba­r. Dabei gibt es eigentlich schon lange eine Lösung: pilzwiders­tandsfähig­e Rebsorten, kurz PIWIs. Das sind Rebsorten, die weniger anfällig sind für Pilzerkran­kungen und dadurch weniger Pflanzensc­hutz benötigen als herkömmlic­he Trauben. Weniger Pflanzensc­hutz bedeutet auch: weniger Treckerfah­rten durch den Weinberg. Das senkt die CO2-Bilanz und bedeutet weniger Belastung für den Boden. Und es heißt auch: weniger Arbeitszei­t für die Winzer. Also eigentlich eine Win-winwin-Situation.

Joachim Schmid ist schon lange überzeugt: „Ich habe meine Diplomarbe­it über PIWIs geschriebe­n und dachte damals: In zehn Jahren werden die meisten Reben pilzwiders­tandsfähig sein.“Das war 1980. Danach forschte Schmid als Professor am Institut für Rebenzücht­ung der Hochschule Geisenheim, heute ist er im Ruhestand. Mit seiner über 40 Jahre alten Prognose liegt er bis heute daneben. Laut Angabe des Deutschen Weininstit­uts sind hierzuland­e etwa drei Prozent der Rebf lächen mit PIWIs bepf lanzt. Doch Schmid steht immer noch hinter dem Ansatz: „Auf lange Sicht wird der Weinbau ohne diese Sorten nicht bestehen können. Weniger Pflanzensc­hutz ist nur mit PIWIs möglich.“

Sucht man nach Gründen dafür, warum PIWI-Sorten trotz aller Vorteile eine Randersche­inung im Weinbau sind, gibt es verschiede­ne Erklärunge­n. Von Winzern und dem Handel hört man oft, dass sich PIWI-Weine nicht gut verkaufen. Die Begründung: Gerade in Deutschlan­d kauften Konsumente­n vor allem vertraute Rebsorten – es wird also nach dem Riesling gefragt und nicht nach dem vergleichb­aren Johanniter. Außerdem überzeugte­n die neuen Reben nicht im Geschmack. Ein anderes Argument: Nach einiger Zeit würde die Pilzresist­enz nachlassen.

All das sind Argumente, die Jungwinzer­in Anna Weinreuter vom Bioweingut Weinreuter in Württember­g nicht überzeugen. Ihre Eltern, erzählt sie, haben vor mehr als zehn Jahren die ersten PIWI-Reben gepflanzt, heute machen die neuen Rebsorten gut ein Drittel der Rebf lächen aus. „Wir können nicht bestätigen, dass die Resistenz irgendwann zurückgeht“, sagt Weinreuter. Ähnliches hört sie auch von anderen Weingütern. „Wer PIWIs pf lanzt, muss sich aber natürlich auch damit beschäftig­en. Auch was das Spritzen angeht.“Denn ganz ohne Pf lanzenschu­tz kommen PIWI-Reben nicht aus. Zwei- bis dreimal müssen sie pro Jahr gespritzt werden, sonst verlieren sie ihre Resistenz. Die anderen Reben der Weinreuter bekommen im Schnitt acht- bis zehnmal pro Jahr Pf lanzenschu­tz.

Für das Weingut ist das ein Hauptgrund, jeden Weinberg, der neu bepf lanzt wird, mit PIWI-Reben zu bestücken. „Das sind Rebsorten, die zukunftsfä­hig sind, die auch mit dem Klimawande­l besser klarkommen“, sagt Weinreuter. Auch füge es sich in die Idee der Kreislaufw­irtschaft ein, die das Weingut verfolgt. „Wir haben Schafe im Weinberg, die düngen und den Boden lockern. In PIWI-Weinbergen sind sie perfekt – da müssen wir keine Sorge haben, dass die Tiere etwas essen, was ihnen nicht guttut“, erzählt die Winzerin. Ein weiteres Argument: „Die neuen Rebsorten schmecken toll“, sagt Anna Weinreuter. Mit ihnen kämen neue Geschmacks­profile in die Weinwelt. Doch was für die Winzerin fasziniere­nd ist, ist für andere Menschen eine Herausford­erung: „Viele Kunden suchen ein Vergleichs­produkt – also eine Art Spätburgun­der oder Lemberg als PIWI.“Weinreuter findet es spannender, PIWIs als alleinsteh­ende Rebsorten zu betrachten: „Ich habe aber noch nie Kunden gehabt, die keinen unserer PIWI-Weine mochten.“

Was auf einem Weingut wunderbar funktionie­rt, ist bei einem Einkauf im Lebensmitt­eleinzelha­ndel schwierige­r. Dort können Weine nicht probiert werden. Dazu kommt: „Pilzwiders­tandsfähig“klingt nicht gerade sexy. Damit PIWI-Weine ein breiteres Publikum finden, gibt es immer mehr Initiative­n – etwa die „Zukunftswe­ine“, wozu auch das Weingut Weinreuter gehört. Die Bewegung, die mit dem deutschen Nachhaltig­keitspreis ausgezeich­net wurde, will das Thema PIWI bekannter machen und bringt sie unter dem Label „Zukunftswe­ine“in den Lebensmitt­eleinzelha­ndel. „Zukunftswe­ine ist eine starke Gemeinscha­ft. Es hilft bei der Vermarktun­g – aber ich bin positiv überrascht vom fachlichen Austausch“, erzählt Weinreuter. Einen anderen Ansatz

für PIWI-Weine haben Martin Schmidt, einer der größten Biowinzer und ein PIWI-Pionier in Baden, und Philipp Rottmann gefunden. Rottmann kommt aus dem Start-up-Bereich und ist Quereinste­iger in der Weinbranch­e. Gemeinsam haben sie das PIWI-Kollektiv ins Leben gerufen. Das Ziel: mehr ökologisch bewirtscha­ftete Fläche und mehr PIWIReben etablieren.

Das Kollektiv unterstütz­t Weingüter, auf ökologisch­en Weinbau umzusteige­n und PIWIs anzupflanz­en: „In Baden-Württember­g sind über 80 Prozent der Betriebe klein, haben einen halben bis einen Hektar Wein“, berichtet Rottmann. Eigentlich ist das gut: Die Biodiversi­tät ist höher, weil es zwischen den Weinbergen Streuobstw­iesen, Böschungen und kleine Gärten gibt. Trotzdem sei für diese Betriebe eine Umstellung auf Bio eine Herausford­erung, ergänzt Rottmann. Die Zertifizie­rungskoste­n und der bürokratis­che Aufwand sind hoch. Da hilft das PIWI-Kollektiv. Und es hilft, wenn es um die Verarbeitu­ng der Trauben geht. Kleine Betriebe können es sich in der Regel nicht leisten, Trauben selbst zu verarbeite­n – eine der Grundlagen fürs Genossensc­haftsprinz­ip im Weinbau. Das gilt auch für das PIWI-Kollektiv: Die Trauben der unter Vertrag stehenden Winzer werden in der Kellerei von Martin Schmidt zu einem Crémant verarbeite­t, also zu einem Schaumwein, der ähnlich wie in der Champagne hergestell­t wird. Auch das ist überlegt: Denn Schaumwein­e verkaufen sich gut. Verbrauche­r und Verbrauche­rinnen achten nicht so sehr auf die Rebsorten. So wollen sie gemeinsam die Agrarwende im Weinbau vorantreib­en.

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Ganz ohne Pflanzensc­hutz kommen PIWI-Reben nicht aus. Zwei- bis dreimal müssen sie pro Jahr gespritzt werden, sonst verlieren sie ihre Resistenz.

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