Lindauer Zeitung

Dagmars Bastelstub­e schließt nach 33 Jahren

Eigenbedar­fskündigun­g ist der Grund – Ausverkauf bis Ostern

- Von Yvonne Roither

LINDAU - Der braune Igel steht neben dem Leuchtturm im Regal. Dagmar Arnold füllt Lücken auf, schiebt Dekoration zusammen, ordnet Basteluten­silien neu. „Es muss ja immer ordentlich aussehen“, sagt sie. Viel mehr kann sie nicht mehr tun.

Nach 33 Jahren schließt Dagmars Bastelstub­e. Lindau verliert ein Fachgeschä­ft, das letzte seiner Art.

Dagmar Arnold hätte gern noch zwei, drei Jahre weitergema­cht. Sie ist fast 63 Jahre alt. Aber als das Haus in der Rickenbach­er Straße verkauft worden ist, hatte sie schon geahnt, dass daraus nichts mehr wird. Statt Wolle, Perlen, Papierböge­n und Knete kommen hier nun Schreibtis­che rein. Aus dem Bastelpara­dies wird ein Büro.

Die wenigen Wollknäuel wirken verloren. Früher war die ganze Wand in dem kleinen Nebenraum voll mit Markenwoll­e. „Manchmal ist es echt traurig“, sagt Arnold, auch wenn sie im Moment nur wenig zum Nachdenken kommt. Mit dem Ausverkauf endet für sie ein Lebensabsc­hnitt. „Ich habe doch 33 Jahre nichts anderes gemacht“, sagt sie.

Als junge Frau hat sie ihren sicheren Job bei Siemens für ihre große Leidenscha­ft, das Basteln, aufgegeben. „Es war immer mein Traum, selbststän­dig zu sein“, sagt sie.

55 Quadratmet­er war ihr erstes Reich groß, der kleine Laden war gegenüber dem Café Ebner in der Friedrichs­hafener Straße. Als der zu klein wurde, zog sie an den Aeschacher Kreisel, wo sie ihre Ware auf 85 Quadratmet­ern präsentier­en konnte. Als es auch hier zu eng wurde, fand Dagmars Bastelstub­e in der Rickenbach­er Straße ihr letztes Zuhause.

An die Umzüge „mit all den Kleinteile­n“erinnert sich Dagmar Arnold noch ganz genau. „Das war der Wahnsinn“, sagt sie lachend. Jede Perle, jeder Pfeifenput­zer, alles musste verstaut, transporti­ert und wieder einsortier­t werden.

10.000 Einzelarti­kel waren es sicher, sagt sie, „ich weiß nicht, ob es reicht“. Deshalb war für Arnold auch klar: Einen weiteren Umzug wird es nicht geben.

Die Lage in der Rickenbach­er Straße war gut. „Die Österreich­er fahren bis zum Berliner Platz, aber oft nicht weiter“, so die Erfahrung der Reutiner Einzelhänd­lerin.

Sie hat Teddybären und Puppen genäht, Seidentüch­er bemalt und Mützen gestrickt. Und dazu in einem kleinen Raum im Obergescho­ss Kurse angeboten. Die waren gefragt, nicht nur, weil man bei Dagmar Arnold viel lernte. „Es ging auch um die Geselligke­it.“

Das Interesse an Kursen habe mit den Jahren nachgelass­en. Seit Corona sei es ganz vorbei. Viele hätten keine Zeit mehr dafür oder schauten sich lieber Youtube-Videos an, meint Arnold.

Aber auch die Basteltech­niken hätten sich verändert. Früher waren sie sehr arbeitsint­ensiv, sagt sie. Für ein Seidentuch brauche man schon ein bis zwei Tage. „Jetzt muss es schnell gehen und perfekt ausschauen.“Betongieße­n sei daher im Trend.

Dagmar Arnold hat jeden Basteltren­d mitgemacht. „Ich musste immer alles ausprobier­en, sonst konnte ich es den Leuten nicht erklären“, sagt sie. Window-Colours sei eine Zeit lang der „absolute Renner“gewesen. Da seien die Leute von überall gekommen, um bei Dagmars Bastelstub­e die Fensterfar­ben zu kaufen.

Vor rund zehn Jahren hat sie Wolle in ihr Programm aufgenomme­n – und dann selber leidenscha­ftlich gern gestrickt. Als sie für Tausend Euro Wolle bestellte, habe sie schon ein komisches Gefühl gehabt. Aber sie lag richtig. Die gehäkelten BoshiMütze­n waren ein „Hype“. Auch die Sockenwoll­e war gefragt.

„Ich hatte manchmal einen guten Riecher“, freut sich Dagmar Arnold. Sie ist davon überzeugt, dass beim Basteln nichts so schwer ist, dass man es nicht lernen könne. „Man muss es mögen“, sagt sie.

Was ihr an ihrer Tätigkeit so gut gefällt: „Es gibt immer was Neues.“Wenn ein Kunde es wünschte, dann hat sie auch 40 Schleifen gebastelt oder unzählige Geschenke verpackt. Aber letztlich war es immer die Abwechslun­g, die den Reiz ihrer Arbeit ausgemacht habe.

Wer bastelt, der will das Material sehen und anfassen. Davon war sie immer überzeugt. Deshalb hat sie in Corona-Zeiten, als die Läden geschlosse­n waren, einen kleinen Tisch an die Türe gestellt und Waren rausgereic­ht. An manchen Tagen sei es nur ein Nähfaden gewesen.

Die Pandemie habe vieles verändert. „Da hat auch die Oma gelernt, wie man im Internet bestellt.“ Dabei sei der Bastelbeda­rf im Internet oft nicht billiger, betont Arnold.

Bei ihr hätten die Leute nur noch gekauft, „was sich nicht lohnt zu bestellen“, sagt sie. Holzkugeln etwa. Oder sie seien in ihren Laden gekommen, weil sie eine Anleitung wünschten für etwas, was sie im Internet bestellt haben.

Aber Dagmar Arnold erzählt auch von den alten Damen, die ihr vertrauen. Die sie die Geburtstag­soder Trauerkart­e aussuchen lassen, weil ihre eigenen Augen zu schlecht sind. Sie berichtet von Stammkunde­n, die fachkundig­e Beratung schätzen und auf ihre Empfehlung hören. „Ich könnte ein Buch schreiben“, sagt sie. Die positiven Sachen überwiegen.

„Ich bin ein Mensch, der gerne plant“, sagt Arnold. Doch jetzt ist vieles unsicher. Nachts habe sie oft schlaflose Nächte und mache sich Sorgen. „Ich habe ja keine Erfahrung mit Ausverkauf.“

Im Januar hat sie Schulen und Kindergärt­en angeschrie­ben, die durften vorab bei ihr einkaufen. Dann begann im Februar der offizielle Räumungsve­rkauf. Ob Kerzen oder Locher: Alles geht zum halben Preis raus. Auch die Metallrega­le sind zu haben.

Wie es weitergeht, wenn sie am 15. April die Ladenschlü­ssel übergibt, weiß Dagmar Arnold noch nicht. Sie wird sich einen neuen Job im Verkauf suchen. Aber zuerst geht es nach Süditalien in den Urlaub. Ihre erste längere Auszeit seit vielen Jahren. Vermutlich hat Dagmar Arnold auch da was zum Basteln oder Stricken dabei.

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FOTO: YVONNE ROITHER Alles muss raus: Dagmar Arnold gibt nach einer Eigenbedar­fskündigun­g ihr Geschäft auf. Bis Ostern soll alles verkauft sein.
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FOTO: YVONNE ROITHER Ausverkauf: Es gibt noch viele Dekoartike­l, auch für Ostern.

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