Große Erschütterung und viel Hoffnung
Frauen berichten von ihrer Flucht – Ukrainischer Frauenchor im Club Vaudeville
LINDAU - Frauen auf der Flucht sind oft ohne Schutz, sie sind unvorstellbaren Belastungen und Qualen ausgesetzt. Unter dem Titel „Starke Frauen – Starke Taten … Angekommen und aufgenommen?“hat der Landkreis Lindau am internationalen Frauentag zu einer Veranstaltung in den Club Vaudeville eingeladen. Die Besucherinnen und Besucher waren von den Berichten der Frauen erschüttert. Aber es gibt auch Hoffnung.
Die Augen von Huguette sprechen Bände. Immer wieder wischt die Frau mit dem lockigen Haar Tränen aus den Augenwinkeln. Über die Umstände, unter denen ihr Mann im Kongo zu Tode gekommen ist, kann sie nicht sprechen – die Stimme versagt ihr.
Huguette und ihren drei Kindern blieb nur die Flucht, auf der sie auf Hilfe von Männern angewiesen war. „Die erwarten eine Gegenleistung. Wenn du nichts anderes hast, gibst du deinen Körper“, sagt Huguette. Sie bekommt ihr viertes Kind. 2019 ist Huguette nach einer jahrelangen Odyssee in Griechenland angekommen, berichtet sie in der arte-Dokumentation „Frauen auf der Flucht – zwischen Hoffnung und Gewalt“. Mucksmäuschenstill ist es im Club Vaudeville nach der Vorführung des Films. Eine Frau f lüstert einer anderen zu: „So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt.“
Im Jahr 2023 waren weltweit mehr als 110 Millionen Menschen auf der Flucht. Etwa die Hälfte davon waren Frauen, wie Sonja Müller als Stellvertreterin von Landrat Elmar Stegmann in ihrer Begrüßungsrede sagte. Glücklicherweise gibt es dank bemerkenswerter Menschen und Hilfsprojekte auch Hoffnung – „sowohl europaweit als auch direkt vor unserer Haustür“, fügte Sandra Dalferth, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises als Organisatorin des Abends an. Und leitete zu Moderatorin Gabriele Brensing vom Integrationsbeirat über.
Deren erste Gesprächspartnerin: Bianca Drescher, Studentin der Hebammenwissenschaften aus Ulm. Ehrenamtlich arbeitet die junge Frau für „ROSA, eine mobile Anlaufstelle für Frauen auf der Flucht: Unterstützung, Empowernment, Vernetzung“, die sich aus Spenden finanziert.
Der Lkw macht in Griechenland vor Flüchtlingslagern Station. Dort gibt es vom achtköpfigen Team, das in der Regel alle zwei Monate wechselt, medizinische Hilfe, Gesprächskreise, Sportund Workshopangebote, Kinderbetreuung und Hygieneartikel.
Viele leidvolle Geschichten hat Bianca Drescher, die 2023 in ihrer Freizeit im ROSA-Lkw gearbeitet hat, gehört. Hat getröstet, versucht zu helfen. Warum? „Ich will mich nicht von der Politik beirren lassen und über die Grenzen hinweg Solidarität zwischen Frauen leben“, sagt sie. „Wir müssen Menschen, die fliehen mussten, zuhören, für sie tun, was wir können und uns im Sinne der Menschlichkeit für Menschenrechte einsetzen. Alle können mithelfen.“
Nicht nur Schlimmes hat sie erlebt. „Wir haben auch getanzt, gemeinsam gegessen, Friede und Solidarität gelebt.“Und dann fügt Bianca Drescher an: „Wir können viel von diesen Frauen abschauen und lernen. Das macht mir sehr viel Mut.“Die Besucherinnen und Besucher belohnen ihr Engagement mit lang anhaltendem Applaus.
Den gibt es auch für die Frauen hier, die zur Integration der „neuen Nachbarn“, wie Moderatorin Gabriele Brensing sagte, beitragen: Gaby Zobel stellvertretend für die Integrationsarbeit im Mehrgenerationenhaus/Treffpunkt Zech, Karin Stark stellvertretend für das Familienzentrum minimax und Kristina Kaaz, Flüchtlings- und Integrationsberaterin des Landkreises Lindau, die als Beispiel „Kurse für Migration im Alltag“anführte: Darin geht es beispielsweise um das Schreiben von Briefen.
Dass Integration gelingen kann, machten Bahar Nooshirvan aus dem Iran, Halyna Yanyshivska aus der Ukraine und Bushra Omeroglu aus Afghanistan deutlich. Alle drei bedankten sich überschwänglich für die herzliche Aufnahme in Deutschland, ihrer neuen Heimat.
Auch Khrystyna Korepanova gehört zu den neuen Nachbarn. Die Musiklehrerin und Chorleiterin brachte ihren Dank auf ihre Weise zum Ausdruck: Sie leitet seit Herbst 2023 das Chorensemble „Inseltöne“. Mit ihm war sie gekommen, um die Veranstaltung mit Liedern, die teils unter die Haut gingen, zu umrahmen.