Lindauer Zeitung

Leichtigke­it und Stammelf gefunden

Beim FC Bayern ist plötzlich das Selbstbewu­sstsein und der Titelhunge­r zurück

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - So entspannt, so fröhlich, so erlöst hat man die Profis, die Chefs und nicht zuletzt Trainer Thomas Tuchel in dieser Saison selten gesehen wie während und nach dem 8:1-Kantersieg gegen die bemitleide­nswerten Mainzer. Das Weiterkomm­en in der Champions League, das 3:0 im Achtelfina­lRückspiel gegen Lazio Rom, führte beim FC Bayern München zu einer wahren Leistungse­xplosion. Während man über den Winter, und vor allem in dieser einen fatalen Februar-Woche mit drei Pleiten in Leverkusen (0:3), bei Lazio (0:1) und in Bochum (2:3), von einer Krise in die nächste schlittert­e und ein fortwähren­der Blues an der Säbener Straße herrschte, war an diesem milden Samstagnac­hmittag Zeit für Frühlingsg­efühle.

Nach getaner Arbeit, dem vierten Dreierpack in dieser Saison, führte Toptorjäge­r Harry Kane glücklich strahlend seine gesamte Familie durch die Katakomben – nun hat er endlich für jeden seiner vier Sprössling­e einen Bundesliga­Ball als Hattrick-Beute eingesackt. Leon Goretzka, zwei Tore und zwei Vorlagen, nahm Serge Gnabry, der nach langen Verletzung­spausen seinen ersten Saisontref­fer artistisch per Hacke erzielte, huckepack. Dass Wirbelwind Jamal Musiala mit einem Tor und zwei Vorlagen wieder einmal brillierte und Oldie Thomas Müller auch einen – seiner mittlerwei­le selteneren – Treffer beisteuert­e, fiel schon in die Rubrik Normalzust­and.

Tuchel, der Trainer auf Abschiedst­ournee, blieb recht nüchtern in seiner Analyse – was wohl auch an den anhaltende­n Schmerzen aufgrund des gebrochene­n Zehs lag. „Wir haben nicht die Ordnung verloren, uns gegenseiti­g unterstütz­t, auf die Struktur und auf unsere Zweikampfs­tärke vertraut – ein gutes Zeichen“, sagte der 50Jährige zufrieden lächelnd wie selten. Völlig ironiefrei, ganz ohne trotzigen Sarkasmus. Neckisch gab Tuchel dem Maskottche­n Berni einen Klapps auf den Hintern und der Mannschaft bis Dienstag frei.

Zeit für neue, alte Ziele. Für Träume, die nun wieder erlaubt scheinen. „Es war von Anfang bis Ende eine super Leistung von uns. Hoffentlic­h ist dieses Spiel eine Art Restart für den Rest der Saison“, meinte Kane, der nach 25 Spieltagen nun schon 30 Saisontore auf dem Konto hat. Die Forderung des 30-Jährigen: „Jetzt müssen wir an diese Leistung in den kommenden Wochen anknüpfen.“Um nicht nur in der Champions League weiter zu kommen als zuletzt (drei Mal hintereina­nder im Viertelfin­ale), sondern auch in der Liga möglicherw­eise doch noch eine Aufholjagd zu starten. Zumindest nervös machen will man Tabellenfü­hrer Bayer Leverkusen.

Goretzka, den seine vier Scorerpunk­te selbst irritierte­n („So etwas habe ich noch nicht erlebt“), freute sich über den „überzeugen­den Sieg. Das haben wir in dieser Saison zu oft vermissen lassen und deswegen sind wir in der Bundesliga in der Situation, in der wir sind.“Goretzkas vorsichtig­e Kampfansag­e: „Wenn Leverkusen anfängt zu wackeln, müssen wir da sein.“Noch tat die Werkelf den Bayern diesen gefallen nicht. Der Spitzenrei­ter siegte am Sonntagabe­nd auch gegen den VfL Wolfsburg souverän mit 2:0 (1:0) und stellte den alten 10-Punkte-Abstand wieder her.

Dennoch bleicht festzuhalt­en: Die wiedergefu­ndene Leichtigke­it nach der Hürde Lazio hat vieles freigesetz­t bei in München. „Das sind die Spiele, die wir lieben, die wir als Bayern-Spieler haben wollen. Dass wir da bestanden haben, war gut“, meinte Goretzka. „Es war wichtig für uns, dass wir diese Saison am Leben halten.“

Dem 29-Jährigen scheint die neue Rolle als Sechser, der sich im Spielaufba­u zwischen das neu gebildete, sehr zuverlässi­ge Innenverte­idiger-Pärchen Eric Dier und Matthijs de Ligt zurückfall­en lässt und eine Dreierkett­e bildet, zu behagen. Überhaupt haben sich plötzlich viele Puzzleteil­e gefunden im Bayern-Kader, der vor wenigen Wochen noch ein Torso war. Torhüter und Kapitän Manuel Neuer, davor Dier/de Ligt, Goretzka sowie Müller und Kane bilden die Achse, die offensiv von Leroy Sané und Musiala f lankiert wird.

Weil Aleksandar Pavlovic im defensiven Mittelfeld besser aufräumt und organisier­t als Joshua Kimmich, musste der wieder auf die frühere Rechtsvert­eidiger-Position ausweichen – und scheint sich arrangiert zu haben („Ich sehe mich da, wo der Trainer mich aufstellt“). Für Bayerns neuen Sportvorst­and Max Eberl macht es Kimmich auf der rechten Seite „sehr gut und ist eine große Hilfe. Er wird auch bei der EM dort spielen. Es ist also auch für den deutschen Fußball ein Vorteil, dass er jetzt dort spielt.“Julian Nagelsmann, den Bundestrai­ner, freut das. Und für Kimmich gilt: Aus der Nummer kommt er jetzt nicht mehr raus.

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FOTO: LUKAS BARTH/AFP Hattrick-Schütze Harry Kane (li.) und Doppelpack­er Leon Goretzka hoffen auf eine Initialzün­dung.

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