Leichtigkeit und Stammelf gefunden
Beim FC Bayern ist plötzlich das Selbstbewusstsein und der Titelhunger zurück
MÜNCHEN - So entspannt, so fröhlich, so erlöst hat man die Profis, die Chefs und nicht zuletzt Trainer Thomas Tuchel in dieser Saison selten gesehen wie während und nach dem 8:1-Kantersieg gegen die bemitleidenswerten Mainzer. Das Weiterkommen in der Champions League, das 3:0 im AchtelfinalRückspiel gegen Lazio Rom, führte beim FC Bayern München zu einer wahren Leistungsexplosion. Während man über den Winter, und vor allem in dieser einen fatalen Februar-Woche mit drei Pleiten in Leverkusen (0:3), bei Lazio (0:1) und in Bochum (2:3), von einer Krise in die nächste schlitterte und ein fortwährender Blues an der Säbener Straße herrschte, war an diesem milden Samstagnachmittag Zeit für Frühlingsgefühle.
Nach getaner Arbeit, dem vierten Dreierpack in dieser Saison, führte Toptorjäger Harry Kane glücklich strahlend seine gesamte Familie durch die Katakomben – nun hat er endlich für jeden seiner vier Sprösslinge einen BundesligaBall als Hattrick-Beute eingesackt. Leon Goretzka, zwei Tore und zwei Vorlagen, nahm Serge Gnabry, der nach langen Verletzungspausen seinen ersten Saisontreffer artistisch per Hacke erzielte, huckepack. Dass Wirbelwind Jamal Musiala mit einem Tor und zwei Vorlagen wieder einmal brillierte und Oldie Thomas Müller auch einen – seiner mittlerweile selteneren – Treffer beisteuerte, fiel schon in die Rubrik Normalzustand.
Tuchel, der Trainer auf Abschiedstournee, blieb recht nüchtern in seiner Analyse – was wohl auch an den anhaltenden Schmerzen aufgrund des gebrochenen Zehs lag. „Wir haben nicht die Ordnung verloren, uns gegenseitig unterstützt, auf die Struktur und auf unsere Zweikampfstärke vertraut – ein gutes Zeichen“, sagte der 50Jährige zufrieden lächelnd wie selten. Völlig ironiefrei, ganz ohne trotzigen Sarkasmus. Neckisch gab Tuchel dem Maskottchen Berni einen Klapps auf den Hintern und der Mannschaft bis Dienstag frei.
Zeit für neue, alte Ziele. Für Träume, die nun wieder erlaubt scheinen. „Es war von Anfang bis Ende eine super Leistung von uns. Hoffentlich ist dieses Spiel eine Art Restart für den Rest der Saison“, meinte Kane, der nach 25 Spieltagen nun schon 30 Saisontore auf dem Konto hat. Die Forderung des 30-Jährigen: „Jetzt müssen wir an diese Leistung in den kommenden Wochen anknüpfen.“Um nicht nur in der Champions League weiter zu kommen als zuletzt (drei Mal hintereinander im Viertelfinale), sondern auch in der Liga möglicherweise doch noch eine Aufholjagd zu starten. Zumindest nervös machen will man Tabellenführer Bayer Leverkusen.
Goretzka, den seine vier Scorerpunkte selbst irritierten („So etwas habe ich noch nicht erlebt“), freute sich über den „überzeugenden Sieg. Das haben wir in dieser Saison zu oft vermissen lassen und deswegen sind wir in der Bundesliga in der Situation, in der wir sind.“Goretzkas vorsichtige Kampfansage: „Wenn Leverkusen anfängt zu wackeln, müssen wir da sein.“Noch tat die Werkelf den Bayern diesen gefallen nicht. Der Spitzenreiter siegte am Sonntagabend auch gegen den VfL Wolfsburg souverän mit 2:0 (1:0) und stellte den alten 10-Punkte-Abstand wieder her.
Dennoch bleicht festzuhalten: Die wiedergefundene Leichtigkeit nach der Hürde Lazio hat vieles freigesetzt bei in München. „Das sind die Spiele, die wir lieben, die wir als Bayern-Spieler haben wollen. Dass wir da bestanden haben, war gut“, meinte Goretzka. „Es war wichtig für uns, dass wir diese Saison am Leben halten.“
Dem 29-Jährigen scheint die neue Rolle als Sechser, der sich im Spielaufbau zwischen das neu gebildete, sehr zuverlässige Innenverteidiger-Pärchen Eric Dier und Matthijs de Ligt zurückfallen lässt und eine Dreierkette bildet, zu behagen. Überhaupt haben sich plötzlich viele Puzzleteile gefunden im Bayern-Kader, der vor wenigen Wochen noch ein Torso war. Torhüter und Kapitän Manuel Neuer, davor Dier/de Ligt, Goretzka sowie Müller und Kane bilden die Achse, die offensiv von Leroy Sané und Musiala f lankiert wird.
Weil Aleksandar Pavlovic im defensiven Mittelfeld besser aufräumt und organisiert als Joshua Kimmich, musste der wieder auf die frühere Rechtsverteidiger-Position ausweichen – und scheint sich arrangiert zu haben („Ich sehe mich da, wo der Trainer mich aufstellt“). Für Bayerns neuen Sportvorstand Max Eberl macht es Kimmich auf der rechten Seite „sehr gut und ist eine große Hilfe. Er wird auch bei der EM dort spielen. Es ist also auch für den deutschen Fußball ein Vorteil, dass er jetzt dort spielt.“Julian Nagelsmann, den Bundestrainer, freut das. Und für Kimmich gilt: Aus der Nummer kommt er jetzt nicht mehr raus.