Hier werden Träume enthüllt
„Christo und Jeanne-Claude. Ein Leben für die Kunst“– LZ-Leser dürfen Sonderausstellung vorab besuchen
LINDAU - Berliner Reichstag, L’Arc de Triomphe oder die „Floating Piers“über den Iseo-See: Die spektakulären Verhüllungsprojekte von Christo und JeanneClaude sind weltberühmt. Doch wie lässt sich Kunst, die vom öffentlichen Raum lebt, in einem Museum darstellen? Das Kulturamt hat das Geheimnis exklusiv für 30 Leserinnen und Leser der Lindauer Zeitung gelüftet. Und gezeigt, wie viele regionale Bezüge in der diesjährigen Sonderausstellung stecken.
Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn und Kuratorin Sophie Sümmermann haben am Dienstag schon einige Runden durch die Ausstellung gedreht und viel, sehr viel erklärt. Zunächst bei der Pressekonferenz, dann bei der exklusiven Führung für die LZ-Leser. Ihre Stimmen haben dadurch etwas gelitten, nicht aber ihre Leidenschaft für die moderne Kunst, die ab Freitag im Lindauer Kunstmuseum zu sehen sein wird.
Einige Leser bringen schon Erfahrungen mit. Weil sie den verhüllten Berliner Reichstag besucht haben oder am Lago d’Iseo übers Wasser gelaufen sind. Tommy Walz fühlte sich auch kunsttheoretisch gut gerüstet. Er musste im Rahmen seines Lehramtsstudiums eine Prüfung über Christo schreiben. Doch vieles, was er hier zu hören bekommt, ist auch für ihn neu.
Die Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude. Ein Leben für die Kunst“ist die erste umfassende Museumsschau zu dem Künstlerpaar in Süddeutschland und Österreich. Und sie hat viele Geschichten zu bieten. Sie drehen sich um eine einzigartige Liebesgeschichte, handeln von Beharrlichkeit sowie Schönheit und Freude in der Kunst. Und auch
Lindau hat seinen Anteil an dieser Geschichte.
Das erste, was die Besucher sehen, ist eine großformatige Fotografie des verhüllten Berliner Reichstags. Die Wand daneben ist mit dem Stoff bezogen, den Christo dafür nutzte. Er wurde auf Lindauer Dornier-Maschinen gewebt.
Die Aufnahme des verhüllten Reichstages stammt von Wolfgang Volz. Der Fotograf kommt aus Ravensburg. Er ist seit 1972 untrennbar mit den Werken des Künstlerpaares verbunden, begleitet ihre internationalen Projekte dokumentarisch. Auch der Statiker war ein „schwäbischer Tüftler“, wie Warmbrunn verrät: Ingenieur Jörg Tritthardt aus Radolfzell war beim Reichstag und Triumphbogen in Paris als Planer für Stoff und Seile dabei.
Auch die Kuratorin der Lindauer Ausstellung hat ein Heimspiel: Sophie Sümmermann, gebürtige Lindauerin und Kunsthistorikerin, war im Düsseldorfer Kunstpalast für die Ausstellung „Hinter dem Vorhang“verantwortlich. Dass die Expertin, die Christo persönlich kannte, gemeinsam mit
Kurator Roland Doschka für die Lindauer Ausstellung gewonnen werden konnte, war ein Glücksfall: 80 Prozent der Werke stammen aus der Christo und JeanneClaude Stiftung in New York, zu der sie gute Kontakte hat.
Sophie Sümmermann und Alexander Warmbrunn nehmen die LZ-Leser mit auf die lebenslange Reise des berühmten Künstlerpaares. Zu sehen sind rund 70 Werke – virtuose Zeichnungen, detailreiche Collagen, frühe Objekte und faszinierende Fotografien.
Sümmermann hat nicht nur viele Fakten, sie hat auch unzählige Anekdoten parat. So erfahren die LZ-Leser, warum Christo immer mit einer Knoblauch-Zehe reiste und nie sitzen wollte. Alexander Warmbrunn erzählt kurzweilig, wie Christo akribisch jede Schnur und Falte plante. So wird Kunst an diesem Abend unterhaltsam verpackt – ganz nach dem Geschmack des Künstlerpaares.
„Sie waren wie eine Symbiose“, sagt Sümmermann über Christo und Jeanne-Claude, die nicht nur das Geburtstagsdatum teilten, beide sind am 13. Juni 1935 geboren, sondern auch ihre Visionen. Dabei kamen sie aus ganz unterschiedlichen Welten.
Christo, der aus Bulgarien nach Paris gef lüchtet war, verliebte sich in die bereits vergebene Jeanne-Claude. Doch sie trennte sich drei Wochen nach ihrer Hochzeit von ihrem Mann, um gegen alle Widerstände mit Christo zu leben. Es wird ein Leben für die Kunst – die sie immer selbst finanziert haben, um unabhängig zu bleiben.
Ob Münztelefon oder Sessel: In den Anfängen sind es noch Alltagsgegenstände, die sie verhüllen. Sie sollen die Neugierde wecken, den Blick schärfen und die Sichtweise auf die Dinge verändern. „Wir verhüllen, um zu enthüllen“, zitiert Sophie Sümmermann Jeanne-Claude.
Das Künstlerpaar wolle durch ihre Aktionen im öffentlichen Raum den Blick auf die Schönheit und die Freude richten, erklärt Warmbrunn, der von einer „Schule des Sehens“spricht. Christos Werke waren nur 16 Tage zu sehen. Die Fotografien von Volz dokumentieren die Vergänglichkeit und halten sie zugleich fest.
Er war der Visionär, sie das Kommunikationstalent, sagt Sümmermann. Um das Unwirkliche wahr werden zu lassen, legten beide eine unglaubliche Beharrlichkeit an den Tag. 25 Jahre arbeiteten sie beispielsweise daran, den Reichstag endlich verhüllen zu dürfen, dreimal war das Projekt bereits abgelehnt worden. Sie überzeugten Farmer, um ein Tal in Colorado mit orangefarbenem Nylongewebe zu behängen. Und um die elf Inseln in der Biscayne-Bucht in Florida mit einem pinkfarbenen Textil umsäumen zu können, räumten sie erst tonnenweise Müll weg.
„Mit der Realisierung war das Projekt für die Künstler abgeschlossen“, erklärt Warmbrunn. Deswegen sei es für sie auch nicht schlimm gewesen, dass der Talvorhang nur 28 Stunden nach seiner Vollendung wegen eines Sturmes schon wieder Geschichte war.
Doch nicht alle Träume ließen sich verwirklichen. Die Wolkenkratzer in New York blieben ebenso unverhüllt wie die Bäume an der Champs Elysees. „24 Projekte wurden realisiert“, sagt Sümmermann, 50 blieben ein Traum. Dazu gehört auch die Mastaba in der Wüste von Texas, wo Christo 400.000 Ölfässer stapeln wollte.
Die 30 Frauen und Männer sind begeistert von der Führung. „Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, wie die Ausstellung wird“, sagt Hermann Föhr, der bereits am Lago d’Iseo übers Wasser gelaufen ist. Jetzt weiß er. „Es geht um die Idee, die dahintersteckt.“
Auch Marlén Schmieder und Edith Zakikhani sind fasziniert: vor dem „tollen Paar“, ihrer Liebesgeschichte und ihrem Werk. „Man braucht aber unbedingt eine Führung“, sagen sie. Das findet auch Jürgen Georges. „Ohne versäumt man vieles.“
Die Zuschauer stehen noch lange vor den Werken. Sie fotografieren und staunen über die dreidimensionale Ausrichtung der Skizzen sowie die eindrucksvollen Fotografien. „Kunst darf auch schön sein“, sagt Alexander Warmbrunn. Gerade in einer Zeit, in der Katastrophen und negative Nachrichten überwiegen, sei das etwas „Lebensbejahendes“.
Anka Busch nimmt noch eine andere Botschaft mit nach Hause: „Wenn man etwas wirklich will, schafft man es auch.“
Am Freitag, 12. April, gibt es ab 19 Uhr eine öffentliche Vernissage. Die Ausstellung ist dann von
13. April bis 13. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr im Kunstmuseum Lindau zu sehen.