Auf der Suche nach dem Richtigen
Nach 15 Jahren wird Winfried Kretschmann den Regierungssitz in Baden-Württemberg 2026 räumen. Wer folgt ihm nach? Diese Frage wird sich bald entscheiden.
STUTTGART - Noch sind es zwei Jahre bis zur nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg. Das politische Klima erhitzt sich aber bereits. Die grün-schwarzen Koalitionspartner triezen sich zunehmend auf der Suche nach Profilierung. Denn über allem Tagespolitischen schwebt die Frage: Wer tritt nach 15 Jahren das Erbe des Grünen-Übervaters Winfried Kretschmann an? Während sich die einen bereits in Stellung bringen, sortieren sich die anderen noch.
Die Ausgangslage Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 im Amt bleiben. „Ich will doch noch regieren“, sagte der 75-Jährige jüngst vor Journalisten in Stuttgart. Wohl auch aus dem Grund, dass die CDU einen Wechsel des Regierungschefs während der Legislatur nicht mittragen würde, wie Fraktionschef Manuel Hagel vergangenen Sommer der „Schwäbischen Zeitung“sagte. Einem möglichen Konkurrenten einen Amtsbonus schenken? Nicht mit der CDU.
Seit 13 Jahren regiert Winfried Kretschmann mit seinen Grünen das Land – zunächst mit der SPD, seit 2016 mit der CDU als Juniorpartner. Zwei Mal ist die Ökopartei als stärkste Kraft aus Landtagswahlen hervorgegangen. Die Vorzeichen für die Wahl 2026 sind aber andere. Erstens: Das Zugpferd Kretschmann wird nicht mehr kandidieren. Zweitens: Der Modus wurde von einem Ein- in ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geändert – mit unklaren Folgen. Drittens: Die Ampel-Koalition in Berlin macht den Südwest-Grünen zu schaffen. Permanenter Streit, gepaart mit handwerklichen Fehlern in der Gesetzgebung und unzureichender Kommunikation, haben das Image der Bundesregierung beschädigt. Das hat auch Kretschmann bereits mehrfach kritisiert.
Aus der Schwäche der Ampel saugen andere Nektar. In der jüngsten Umfrage im Auftrag der „Schwäbischen Zeitung“kam das Meinungsforschungsinstitut Insa im März zu dem Ergebnis, dass 30 Prozent der Befragten die CDU und 23 Prozent die Grünen wählen würden. Bei der Wahl vor drei Jahren war es in etwa umgekehrt. Auf Platz drei mit 16 Prozent landete die AfD. Auch wenn sich Spitzengrüne im Land betont entspannt geben und darauf verweisen, dass in zwei Jahren viel passieren könne, herrscht Nervosität – gerade auch mit Blick auf die Kommunal- und Europawahlen im Juni. Erst danach wollen sie erklären, wer für die Grünen als Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Frühjahr 2026 antreten soll.
Die zaudernden Grünen
Springt er, springt er nicht? Ein hochrangiger Grüner aus BadenWürttemberg hat mal gesagt, wenn Cem Özdemir nicht antritt, könne man gleich picknicken gehen statt Wahlkampf zu machen. Soll heißen: Nur Özdemir hat das Format, die Grünen im Land an der Macht zu halten. Bei bereits erwähnter Umfrage erreichte er mit 16 Prozent die größte Zustimmung zur Frage, wer Winfried Kretschmann nachfolgen soll. Nur übertroffen von 17 Prozent der Befragten, die „weiß nicht“angaben.
Das mag mehr mit seiner Bekanntheit als mit seiner Beliebtheit zu tun haben. Landespolitiker leiden chronisch an Unbekanntheit. Özdemir tanzt dagegen seit 1994 auf bundes- und europapolitischem Parkett. Bei der letzten Bundestagswahl war er Stimmenkönig im Südwesten, erreichte 40 Prozent im Wahlkreis Stuttgart I – und wurde nach hartem internen Ringen bei den Grünen Agrarminister.
Genau dieser Posten könnte Özdemir zum Verhängnis werden. Die Landwirte sind nach der angekündigten Streichung von Subventionen durch die Bundesregierung auf dem Baum. Özdemir hat zwar gegen die Pläne gekämpft, die seine Regierungskollegen ohne ihn getroffen haben, und das zum Teil erfolgreich.
Auch stellt er sich auf jeden Marktplatz, auf dem Bauern protestieren. Er argumentiert, erklärt und lässt sich ausbuhen. Das bringt ihm Respekt ein. Ob dieser in Unterstützung umschlägt?
Genau diese Ungewissheit hat dem Vernehmen nach Özdemir lange zaudern lassen. Spätestens im Herbst muss er sich aber entscheiden. Dann beginnen die Parteien nämlich, ihre Kandidaten für die Bundestagswahl im kommenden Jahr aufzustellen. Will Özdemir seinen Wahlkreis halten, muss er sich bekennen. Oder eben erklären, dass er Bundes- gegen Landespolitik eintauschen will. Vergangenes Wochenende hat „Bild“berichtet, dass er dem Landesverband die Spitzenkandidatur versprochen habe.
Der Verband betont zwar, es gebe keine Neuigkeiten. Dass es dieses Versprechen gar nicht gebe, sagt auffälligerweise aber niemand. Geht Özdemir diesen Weg, kann er auf der Karriereleiter schnell nach unten führen. Falls es nicht für den Ministerpräsidentenposten reichen sollte, bliebe ihm bei grüner Regierungsbeteiligung im Land ein Ministerposten. Oder er könnte die Rolle des Oppositionsführers übernehmen, falls beispielsweise CDU, FDP und SPD koalieren würden.
Dieses Amt hätte im Zweifel aber sicher auch der aktuelle Fraktionschef Andreas Schwarz gerne. Tritt Özdemir nicht an, läuft es bei den Grünen wohl auf eine Kandidatur von Schwarz hinaus. Er will, soviel ist jedem Beobachter klar. Ob er auch kann, ist eine andere Frage. Schwarz ist ein f leißiger Schaffer mit großem Wissen und einer Liebe zum Detail. Und er ist aufrichtig nett. Sein Problem: Die wenigsten Menschen im Land kennen ihn. Lediglich drei Prozent der Befragten im März wünschten ihn sich als Nachfolger Kretschmanns. Im Gegensatz zu Özdemir ist Schwarz kein begnadeter Rhetoriker und auch kein charismatischer Menschenfänger. Mit den deutlich ideologischeren Bundesgrünen haben beide mögliche Kandidaten wenig am Hut. Sie stehen für den pragmatischen Kurs, mit dem Kretschmann auch konservative Wähler gewinnen konnte.
Die hungrige CDU
Die CDU hat sich in den vergangenen Jahren derweil sortiert. Vielmehr wurde sie sortiert – von ihrem ehrgeizigen Spitzenmann Manuel Hagel. Der 35-jährige ehemalige Sparkassendirektor aus Ehingen im Alb-Donau-Kreis hat sich strategisch und konsequent auf die Pole-Position vorgekämpft und dabei eine beachtliche Lernkurve hingelegt.
Sprung zurück in den Juni 2016. Der Nabu-Landesverband hat Gäste aus Politik, Medien,
Wirtschaft und Verbänden zur Sommerterrasse eingeladen. Auf dem Balkon der Nabu-Geschäftsstelle im Zentrum Stuttgarts steht auch Hagel, seit knapp zwei Monaten Landtagsabgeordneter und ganz frisch gewählter CDUGeneralsekretär. Hagel nimmt einen Biss von dem Schnittchen, das er sich am Buffet geholt hat, und verzieht das Gesicht. Auf die Frage, was er da esse, sagt er in breitem Oberschwäbisch: „Ich weiß nicht, aber es schmeckt ganz komisch.“
In den acht Jahren seit dieser Episode hat Hagel systematisch die Macht der ehrwürdigen CDU im Land in seinen Händen gebündelt. Er hat einen engen Kreis an Vertrauten um sich geschart, die zum Teil noch aus Junge-UnionZeiten stammen. Und er hat es geschafft, die traditionell gespaltene Fraktion mit ihren äußerst selbstbewussten Abgeordneten zu befrieden.
Hummus ist noch immer nicht sein Ding, gesteht er an Ostern bei einer Delegationsreise nach Israel. Der Manuel Hagel von heute weiß aber, wie er dies geschickt ausdrückt. Er ist inzwischen dreifacher Familienvater, trägt Brille, die den 35-Jährigen älter und seriös wirken lässt, und hat sein schwäbisches Idiom geglättet. Nichts will er dem Zufall überlassen. Er selbst dirigiert Abgeordnete zur perfekten Aufstellung für Fotos. Sein Kontrollstreben reicht soweit, dass er Mitarbeiter bei Journalisten anrufen lässt, mit dem Auftrag zu klären, welches Bild von ihm zu einem Interview erscheint.
Auch wenn er sich noch nicht dazu bekannt hat: Alles deutet darauf hin, dass Manuel Hagel 2026 Spitzenkandidat für die CDU sein wird. Seine Chancen, jüngster Ministerpräsident Baden-Württembergs zu werden, stehen gut. Die Schwäche der Ampel-Koalition verleiht der Union zudem bundesweit Aufwind. Konservative Wähler, die der CDU fast sechs Jahrzehnte die Macht im Land beschert, zuletzt dann allerdings für Kretschmann gestimmt hatten, könnte er zurückgewinnen. Hagel weiß das und geriert sich als eigentlicher Nachfolger des beliebten Grünen-Ministerpräsidenten. „Das Erbe von Winfried Kretschmann ist bei uns in guten Händen“, betont er in jüngster Zeit auffällig oft. Das erinnert an die Strategie von Olaf Scholz während des Bundestagswahlkampfs 2021, als sich der SPD-Spitzenkandidat als natürlicher Nachfolger von CDU-Langzeitkanzlerin Angela Merkel gerierte – mit Erfolg.
Die hoffenden Dritten
SPD und FDP im Land haben sich ebenfalls längst aufgestellt für die Zeit nach Kretschmann. Die Liberalen haben in Hans-Ulrich Rülke einen unantastbaren Frontmann, der bereits öffentlich mit der CDU flirtet. Öffentlichkeitswirksam ist er etwa mit Manuel Hagel durch seinen Wahlkreis bei Pforzheim gewandert. Die Sozialdemokraten haben in Andreas Stoch einen stabilen Partei- und Fraktionschef, der die zerstrittenen Flügel zusammengeführt und die Landespartei befriedet hat.
Einen Führungsanspruch in einer künftigen Regierung können aber wohl beide nicht erheben. Die SPD landete bei der Umfrage im Februar bei elf Prozent – wie bei der Landtagswahl 2021. Die FDP erreichte sieben Prozent und damit 3,5 Prozentpunkte weniger als bei der jüngsten Wahl.
Noch nicht abzuschätzen ist die Zukunft der AfD. Die eine dominierende Führungsperson gibt es im Land nicht. Nach 9,7 Prozent bei der Landtagswahl 2021 erreichte sie zwischenzeitlich in Umfragen 20 Prozent und landete im Februar dann bei 16. Unklar ist, ob die Partei im Bund oder auch im Land vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird – und wie sich das auf das Wahlverhalten auswirken würde. Einfluss auf dieses hat sicher auch die wirtschaftliche Lage im Land. Denn, wie der ehemalige langjährige Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Christian Lüth mal in einem verdeckt aufgezeichneten Gespräch sagte: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“