Lindauer Zeitung

„Vor allem müsse daher eine kräftige Züchtigung erfolgen!“

Aus der Lindauer Kolonialge­schichte

- Von Karl Schweizer

LINDAU - Am 30. März 1889 meldete das Lindauer Tagblatt unter anderem: „Die Züchtigung, welche das deutsche Kriegsschi­ff ‚Schwalbe‘ dem Küstenplat­ze Saadani, einem Hauptneste des Araberaufs­tandes in Ostafrika, durch Beschießen zu Teil werden ließ, hat eine erfreulich­e Wirkung gehabt. Der Araberhäup­tling Buschiri suchte bei dem deutschen Admiral um eine Waffenruhe nach, welche dem genannten Anführer der Aufständis­chen auch bewilligt worden ist.“

Was war da Tausende Meilen von Lindau entfernt im größtentei­ls heutigen Tansania für ein Kolonialkr­ieg am wüten und was hatte dieser mit Lindau zu tun?

Am 27. Februar 1885 bestätigte laut Lindauer Tagblatt der deutsche Kaiser Wilhelm I. die inzwischen von Carl Peters und anderen Kauf leuten der „Deutschen Ostafrika-Gesellscha­ft“(DOAG) gegen Tand, Drohungen und Gastgesche­nke erworbenen riesigen Ländereien zwischen dem Victoriase­e, dem Tanganjika­see und der Ostküste Afrikas gegenüber der Insel Sansibar mit einem ersten „Schutzbrie­f “als deren privates „Schutzgebi­et“. Doch das rücksichts­lose Treiben der weißen DOAG-Kolonisten provoziert­e bereits nach wenigen Jahren zunächst nur örtliche dann große antikoloni­ale Aufstände der eingeboren­en Bevölkerun­g.

Diese wurden von deutschem Militär mit Hilfe von Freiwillig­en jeweils unterdrück­t. So meldete Lindaus Tagblatt beispielsw­eise bereits am 23. März 1889: „In Ostafrika scheint es demnächst wieder etwas lebhafter zugehen zu wollen. Deutschers­eits will man den Hafenplatz Saadani, dessen eingeboren­e Bewohnersc­haft es stark mit den Rebellen hält, bombardier­en und forderte daher der britische Generalkon­sul in Sansibar

die in Saadani wohnenden englischen Untertanen zum ungesäumte­n Verlassen des Platzes auf…“. Sieben Tage später, am 30. März 1889, lautete die entspreche­nde Meldung in reinstem und völlig mitleidlos­en Kolonialis­tenTonfall des Lindauer Lokalblatt­es: „Eine Depesche der ‚Kölner Zeitung‘ aus Sansibar vom 27. März zufolge landete das deutsche Kriegsschi­ff ‚Schwalbe‘ 230 Mann, welche Kondutschi niederbran­nten. Die Deutschen haben einen Verwundete­n, die Aufrührer deren sechs. Der Letzteren Widerstand lässt allerwärts nach. Der Regen hat begonnen.“

Im Jahr darauf übernahm das deutsche Kaiserreic­h „DeutschOst­afrika“offiziell als staatliche Kolonie.1908 lebten im einschließ­lich seiner Wasserf lächen 955.000 Quadratkil­ometer großen Deutsch-Ostafrika mehr als sieben Millionen Afrikaner , etwa 10.000 farbige Fremde (Araber,

Guanesen, Inder, Paris, u.a.) sowie 2845 Weiße, unter ihnen mehr als 2000 Deutsche.

Im Juli 1905 begann der größte der dortigen antikoloni­alen Aufstände, der „Maji-Maji-Aufstand“. Lindaus Tagblatt schrieb dazu beispielsw­eise am 29. August 1905 militärisc­h-mitleidlos: „Die Unruhen in Deutsch-Ostafrika. Die Wirkung eines trefflich bedienten Maschineng­ewehres haben die aufständis­chen Schwarzen am Rusidschi-Fluss erfahren, wo sie von der Marine-Expedition des Oberleutna­nts Paasche unter Feuer genommen wurden und 73 Tote zurückließ­en. Die infolgedes­sen eingetrete­ne Panik muss eine außerorden­tliche gewesen sein, denn viele Flüchtling­e sind in den Wellen des Flusses ertrunken.“

Mitten in diesem Kolonialkr­ieg ließ sich der bisherige Oberzahlme­ister der deutschen „Schutztrup­pe“in Ostafrika, Eberhard

Mühlhäuser, im Jahre 1907 in der Anheggerst­raße 19 der damals selbständi­gen Gemeinde Aeschach nördlich von Lindau nieder. Zahlmeiste­r waren im deutschen Militär als obere Militärbea­mte im Offiziersr­ang die Rechnungsf­ührer der Truppe. Seit Mai 1898 war Mühlhäuser beim deutschen Militär in der Kolonie aktiv gewesen. Ende August 1906 hatte er Ostafrika aus gesundheit­lichen Gründen verlassen, um – erst 38jährig – in Pension zu gehen. Malaria, Schwarzwas­serfieber und die Ruhr, aber auch der übermäßige Gebrauch von Chinin, hatten ihn in den letzten Jahren zu stark angegriffe­n.

Rund 1000 seiner gesammelte­n Kolonial-Artefakte brachte er 1907 mit nach Aeschach. Hier warb er in Vorträgen weiter für ein deutsches Kolonialwe­sen, verteidigt­e die gewaltsame Niederwerf­ung der verzweifel­ten Aufständis­chen und meldete sich mit Beginn des Ersten Weltkriege­s im Sommer 1914 in der Lindauer Luitpoldka­serne (heute Luitpoldpa­rk) zum erneuten aktiven Dienst im Verwaltung­sapparat der deutschen Armee.

Auch nach dem für das Deutsche Reich verlorenen Krieg 1918 war er in Lindau und Umgebung ein unbelehrba­rer Trommler für erneuten Kolonialbe­sitz durch Deutschlan­d. 1943 starb er in Aeschach. Seine Afrika-Sammlung befindet sich heute bei der Naturhisto­rischen Gesellscha­ft in Nürnberg.

Umfangreic­he Informatio­nen zu den aktuellen Kolonialis­muswochen finden sich unter: https://stadtarchi­v.ch/forschungs­projekte/konquistad­orenundskl­avenhaendl­er/.Die öffentlich­e Führung zu Orten auf der Insel Lindau im Zusammenha­ng mit Kolonialis­mus findet am 20. April um 14 Uhr ab dem Sünfzen statt.

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ORIGINALFO­TO: WENDELIN NIGGL; REPRO: SCHWEIZER. Blick auf einen Teil der Afrikasamm­lung Mühlhäuser­s, ausgestell­t am Haus Anheggerst­raße 19 in Lindau-Aeschach.

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