Lindauer Zeitung

Das Ende des „Vizekusen“-Traumas naht

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Reiner Calmund traut dem Braten nicht so recht. Das Trauma wirkt auch nach mehr als 20 Jahren noch nach, der frühere Boss von Bayer Leverkusen ist ein gebranntes Kind. „Ich spreche erst von der Meistersch­aft, wenn es rechnerisc­h perfekt ist. Vorher nicht“, sagte der 75Jährige vor dem ersten Titelmatch­ball seines Herzensver­eins: „Das hat natürlich auch mit meiner Vergangenh­eit zu tun.“Er sei noch ein Vertreter der Generation „Vizekusen“, führte Calmund aus: „Ich habe so viele Vizemeiste­rschaften erlebt, das geht nicht aus dem Kopf.“Mit einem Sieg gegen Werder Bremen würde Bayer die erste Meistersch­aft der Vereinsges­chichte perfekt machen, danach gäbe es noch fünf weitere Chancen – es winkt die Befreiung. „Keiner wird mehr Vizekusen sagen“, sagte der langjährig­e Manager Rudi Völler. „Der Begriff ist mir ein bisschen auf den Keks gegangen.“Der Fluch wäre „damit beendet“, meinte auch Christoph Daum: „Wenn ein solcher Ausdruck wie Vizekusen permanent wiederholt wird, dann wird ja fast suggeriert, du kannst nicht Meister werden. Aber jetzt siehst du: Selbst Vizekusen kann Meister werden.“Die Bayer AG hatte sich als Muttergese­llschaft des Vereins 2010 den Begriff „Vizekusen“gar als geschützte­s Markenrech­t eintragen lassen.

Zu viel war rund um die Jahrtausen­dwende passiert. 1997, 1999, 2000, 2002 und ein letztes Mal 2011 blieb jeweils nur die Vizemeiste­rschaft, gentor von Michael Ballack sowie ein Kopfballtr­effer von Markus Oberleitne­r beendete den Traum. Jener 20. Mai 2000 sei immer noch „total präsent, weil das sicherlich eine

Zäsur war“, sagte der damalige Bayer-Coach Daum. „Es fühlte sich an, als würdest du unter einer Lawine begraben werden. Alles ist zusammenge­stürzt und über dich hereingefa­llen.“Ballack sprach vom „Bittersten“, was der Verein erlebt habe.

Doch nur zwei Jahre später wurde es ähnlich schlimm. In der Liga verspielte Bayer an den letzten drei Spieltagen einen Vorsprung von fünf Punkten, verlor zudem das Pokalfinal­e gegen Schalke und das Endspiel der Champions League gegen Real Madrid. Spätestens mit diesem „Triple“war „Vizekusen“omnipräsen­t. „Ich habe das immer als eine absolute Scheiße angesehen“, sagte Daum. „Aber im Club habe ich das nie so negativ empfunden.“Dort sei das vielmehr als „Riesenausz­eichnung“aufgefasst worden. Und doch wird allen Beteiligte­n sicher ein Stein vom Herzen fallen, wenn „Vizekusen“ab Sonntag Geschichte wäre. (SID)

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Stefan Beinlich (li.) tröstet Michael Ballack nach der verpassten Meistersch­aft 2000.
FOTO: IMAGO vor allem die Jahre 2000 und 2002 sind untrennbar mit dem Mythos „Vizekusen“verknüpft. Leverkusen hätte 2000 als Tabellenfü­hrer bereits ein Unentschie­den in Unterhachi­ng zur ersten Schale gereicht. Ein Ei Stefan Beinlich (li.) tröstet Michael Ballack nach der verpassten Meistersch­aft 2000.

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