Ohren im Dauerstress
Experten warnen vor dem Dauergebrauch von Kopfhörern – Besonders bei Kindern leidet der Hörsinn – Auch das Ausblenden von Nebengeräuschen wird nicht erlernt
Im Bus, im Park oder im Büro, man sieht sie überall in oder auf den Ohren sitzen: In Deutschland werden rund 14 Millionen Kopfhörer pro Jahr verkauft, meistens an Jugendliche oder jüngere Erwachsene. Doch eine aktuelle Studie lässt erahnen, dass künftig auch immer mehr Kinderohren mit ihnen ausgerüstet werden. Und das dürfte gesundheitliche Folgen haben.
Das Forscherteam des CS Mott Children’s Hospitals in Michigan hat knapp 1200 Elternpaare mit mindestens einem Kind im Alter von fünf bis zwölf Jahren nach der Medien- und Kopfhörernutzung ihres Nachwuchses befragt. Demnach verfügen zwei von drei Kindern über einen Kopfhörer, und 25 Prozent von ihnen nutzen das Gerät ein bis zwei und 16 Prozent sogar mehr als zwei Stunden pro Tag. Die Anwendung erfolgt praktisch überall: bei 68 Prozent zu Hause, bei 60 in der Schule, 41 im Auto und vier Prozent im Bett, als Einschlafhilfe. Wobei etwa die Hälfte der Eltern der Aussage zustimmen, dass die Kopfhörer ihr Kind – etwa mit Musik, Hörspiel oder Video – unterhalten sollen, ohne dass sie selbst davon gestört werden.
Bemerkenswert: Knapp 40 Prozent der Eltern, die ihr Kind länger als zwei Stunden unter den Kopf hörern lassen, geben zu, dass dies eigentlich länger ist, als sie sich das wünschten. Und dass es auch gesundheitlich schaden könnte: 26 Prozent machen sich Sorgen über künftige Hörprobleme ihrer Kinder. Aber sie unternehmen kaum etwas zur Senkung dieses Risikos. Nicht einmal die Hälfte der Eltern, deren Kind ein Heavy-Earphone-User ist, versucht wirklich, den Konsum zu begrenzen. 28 Prozent achten noch nicht einmal auf die Lautstärke der Kopfhörer.
Und zumindest das sollten die Eltern tun, findet Studienleiterin Susan Woolford. Denn Lärmbelastungen seien für die Kinder ein Stressreiz, der ihren Schlaf, ihr schulisches Lernen und ihre Sprachentwicklung beeinträchtigen kann. Bei extrem hohen Lautstärkepegeln drohe überdies ein irreversibler Hörverlust. „Denn die Gehörgänge von Kindern sind viel kleiner als die von Erwachsenen“, betont die Kinderärztin. Mit der Folge, dass der Schall vom Kopfhörer nur noch einen kurzen Weg bis zum Trommelfell hat und dort ohne größere Verluste ankommt. Und bei den derzeit besonders angesagten In-Ear-Kopf hörern wird der Abstand noch weiter verkürzt.
Hinzu kommt, dass viele Kinder ihre Kopfhörer in Kaufhäusern und auf Reisen aufsetzen oder aufgesetzt bekommen, also dann, wenn es in der Umgebung laut ist. „In der Folge drehen sie den Lautstärkepegel ihrer Kopfhörer noch weiter auf, um gegen den Außenlärm anzukommen“, betont Woolford. Das treibe am Ende die Lärmbelastung noch weiter nach oben.
All das lässt Schlimmes für das künftige Hörvermögen der USAmerikaner befürchten. Doch wie sieht die Situation in unseren Breiten aus? „Wenn man hierzulande etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln fährt oder durch die
Fußgängerzonen geht, hat man den Eindruck, dass kaum noch ein Zehn- bis 16-Jähriger ohne Kopfhörer ist“, berichtet Stefan Dazert, Direktor des HNO-Klinikums an der Ruhr-Universität Bochum. Bei jungen Erwachsenen seien die Geräte ohnehin schon länger etabliert.
Der Lärm aus den Kopfhörern erhöht den Stress auf die feinen Haarzellen, also die Hörrezeptoren im Innenohr. Der Grund: Der Schall trifft zunächst aufs Trommelfell, wo er zu einer mechanischen Schwingung wird, die über die Gehörknöchelchen zum Innenohr geleitet wird. In der dortigen Flüssigkeit entsteht daraufhin eine Wanderwelle, unter der sich die Härchen der Sinneszellen biegen – oder eben auch, weil der Schallpegel permanent für eine besonders starke Belastung sorgt, geschädigt werden. „Die Härchen knicken regelrecht ein, wie ein Grashalm unter einem Sturm“, erläutert Dazert.
Hinzu kommt, dass bei Kindern der Hörsinn noch in der Entwicklung und daher empfindlicher ist. Bei ihnen ist bereits ein Schallpegel von 70 Dezibel (dB) eine Lärmschwelle, die nicht länger überschritten werden sollte, während für Erwachsene 80 dB gelten. Zum Vergleich: Bei einem normalen Gespräch entstehen etwa 60 dB, an einer Hauptverkehrsstraße herrschen oft Werte von über 80 Dezibel. „Wenn man die dann im Kopfhörer überschreiten muss, weil man ja etwas von der Musik hören will, kann man sich leicht vorstellen, was das für das Innenohr bedeutet“, warnt Dazert.
Fatalerweise kommt hinzu, dass die geschädigten Haarzellen sich nicht unbedingt erholen. Das tun ja geknickte Grashalme auch nicht. Wenn also Kinder und Jugendliche wegen ihres exzessiven Kopfhörergebrauchs erst einmal einen Hörschaden haben, nehmen sie den mit ins Erwachsenenalter. Was nicht nur an sich schon problematisch ist, es erhöht auch die Empfindlichkeit im Innenohr, was dann wiederum das Risiko für weitere Hörschäden ansteigen lässt. „Die Probleme werden sich im Laufe des Lebens nicht nur summieren, sondern sogar potenzieren“, betont Dazert. Wer also schon in Kindheit und Jugend sein Hörvermögen ramponiert hat, wird im späteren Leben deutlich früher schwerhörig werden und auf ein Hörgerät angewiesen sein als andere Menschen.
Nicht zu vergessen, dass die Dauerberieselung per Kopfhörer verhindert, dass ein Kind das Ausblenden von Nebengeräuschen erlernt. Diese Fähigkeit gestattet uns, jemandem in der Küche zuzuhören, obwohl die Spülmaschine im Hintergrund läuft, oder uns aus einem Stimmgewirr in der Kneipe die Stimme herauszupicken, die wir besonders interessant finden. Doch unser Gehirn muss diese, wie es unter HNOÄrzten heißt, „Nutzschall-Identifikation“in unseren frühen Lebensjahren lernen – und das kann es deutlich schlechter, wenn wir einen Großteil der Zeit unter dem Schallteppich der Earphones verbringen.
Gründe genug also, die Kopfhörer bei Kindern und Jugendlichen
Wer sich dauerhaft und viel zu laut mit Musik oder Podcasts beschallt, schadet seinen Ohren. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen leidet der Hörsinn.
nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Woolford und Dazert empfehlen die Anschaffung von Smartphones, deren Lautstärke man dauerhaft auf einen Pegel von unter 70 dB einstellen kann. Bei der Anschaffung der Kopfhörer sollten die größeren, auf den Ohren auf liegenden Modelle gegenüber In-Ear-Varianten den Vorzug erhalten. Der HNOArzt und die Kinderärztin propagieren außerdem die 60/60-Regel. „Sie besagt, dass Kinder aus dem Kopfhörer nicht mehr als 60 Prozent der Maximallautstärke hören sollten, die ein herkömmliches Smartphone erreicht“, erläutert Woolford, „und sie sollten nicht mehr als 60 Minuten täglich damit verbringen.“
Doch das dürfte auch hierzulande wohl nur selten eingehalten werden. Denn laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitcom nutzen sieben von zehn Kindern und Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren digitale Medien, ohne eine zeitliche Beschränkung durch die Eltern. Da dürften weitere Nutzungsregeln kaum Beachtung finden.
Ohrenschmalz dient vor allem der Entfernung von Schmutz und abgestorbenen Hautpartikeln. Seine Produktion wird durch die individuelle Veranlagung geprägt. Durch das permanente Tragen von In-EarKopfhörern kann das Ohrenschmalz aber nur schlecht abfließen, sodass es sich im Gehörgang ansammeln, verhärten und zu einem Pfropfen verdichten kann, der bis zu 10 dB des Schalls verschluckt.
Die Lautstärke aus Kopfhörern regt jedoch keineswegs die Bildung von Ohrenschmalz an. Ohrenschmalz kann man gut mit einem – in Speiseöl getupftem – Kleenex entfernen, das man über den kleinen Fingerr stülpt, der im äußeren Gehörgang behutsam hin- und hergedreht wird. Bitte keine Wattestäbchen! Im Zweifelsfall macht der HNO-Arzt eine Ohrspülung. (zit)