Es Torrent de Son Carrió
Mutig, zum Glück
Schon die Anfahrt hat in einer der trubeligsten Touristengegenden Mallorcas rund um Cala Millor etwas Besonderes. Von der Umgehungsstraße Manacors, der nach Palma zweitgrößten Stadt der Insel, führt ein Abzweig auf beschauliches, plattes Land mit blühenden Wiesen und Feldern, die mit alten Bruchsteinmauern eingerahmt sind. Mit ländlich-friedlich ist diese Idylle zutreffend beschrie- ben. Nach ein paar Kilometern taucht das kleine Dorf Son Carrió auf, und nichts stört den ersten Eindruck, dass es sich in dieser heilen Welt wie zu Hause fühlt und im größeren Gemeindeverband mit Sant Llorenc de Cardassar sein Eigenleben bewahrt. Blickfang an der Hauptstraße ist die katholische Ortskirche Sant Miquel mit ihrer schönen Fassade. Genau gegenüber liegt das kleine, empfehlenswerte Restaurant, das seinen Namen vom Torrent ableitet. Mit ihm, dem fast das ganze Jahr keinen Tropfen Wasser führenden Flusslauf, geht das Lokal mit einer kleinen erhöhten Terrasse an der rückwärtigen Front auf Tuchfühlung. Vorne neben dem Eingang an der Straße gibt es zwei Plätze, von denen aus man das dörfliche Leben gut unter die Lupe nehmen kann. Lohnender aber ist eine Reservierung im Inneren. Hier haben drei junge Leute die frühere Dorfkneipe mit Fingerspitzengefühl in ein Restaurant mit viel Charme verwandelt. Da strahlt einen der alte, auf Vordermann gebrachte Steinfußboden an, in den schönen Weinregalen haben die guten Tropfen von der Insel ihren Ehrenplatz, die weit auseinander stehenden Tische sind mit feinem Tuch eingedeckt, und die Theke hat rein gar nichts mehr mit früherer Dorfkneipenkultur zu tun. Alles ist das Ergebnis eines mit sicherem Geschmack durchgeführten Renovierungsprojekts. Auf Mallorca, meistens in den Dörfern des Inselinneren, gibt es inzwischen gute Beispiele dafür, wie junge Köche die traditionelle mediterrane Küche mit regionaler Orientierung vorsichtig modernisieren. Hier im Es Torrent de Son Carrió gelingt das ganz hervorragend – und ist wieder anders als bei anderen und sehr mutig. Zunächst ein paar lobende Worte über den überaus freundlichen Service, für den Jaume Femenies Puigrós zuständig ist, während die anderen beiden Youngster in der Küche für die Abteilung Kreatives und Erstaunliches verantwortlich sind. Der junge sympathische Mann an der Front ist mit seinen Deutschkenntnissen allgegenwärtig. Bis auf zwei spanische junge Familien, die mit
ihren Kleinkindern erst am späteren Abend eintrudeln, sind alle Gäste an diesem Abend Deutsche. Da macht alleine das Zuhören Spaß, wie ihnen das mutige Konzept der preisgünstigen Menüs liebevoll nahe gebracht wird und wie sie sich später mit dem Versprechen verabschieden, sehr bald wiederzukommen. Notiz am Rande: Das zuvor gebrachte Arrangement aus Landbrot, Oliven, mit Thymian und Rosmarin aromatisiertem Salz und einer mit Ananas verfeinerten Aioli wurde mit keinem Cent in Rechnung gestellt. Acht Gerichte stehen zur Auswahl, aus denen man sich sein Menü zusammenbasteln kann. Fünf oder acht Gänge? Fünf bedeutet eine Vorspeise, drei Hauptgänge und eine Nachspeise für 35 Euro, mit Weinbegleitung 55 Euro. Das AchtGänge-Menü kostet 50 Euro, mit Weinbegleitung 70 Euro. Kleiner Tipp: Wer sich für die kleine Variante entscheidet, verabschiedet sich am Schluss nicht nur satt, sondern auch glücklich. Denn das, was da Gang für Gang in meistens verblüffend origineller Optik serviert wird, schmeckt in den teuren Spitzenlokalen der Insel nicht besser. Da sind zum Beispiel die Vorspeisen Seeigeltartar mit Kapern, Meeresalgen und Zitrone, die Kichererbsencreme mit Sobrasada, Artischocken und Käse oder die Pilz-Cannelloni mit Erdbeeren, Trüffel und Spargel. Die drei Hauptspeisen: Hähnchenreis mit Jakobsmuschel, Trampo und Paprika, Bonito mit Erbsen, Karotte und Kochbanane und Schweinebäckchen mit Süßkartoffel, Zwiebel und Haselnuss. Als Dessert stehen Orangenpudding mit roten Früchten, Anis und Honig oder Variationen von Schokolade zur Wahl. Die Karte wechselt wöchentlich. Für die Weinbegleitung werden hauptsächlich beste Festlandtropfen eingeschenkt. Aber die Mallorquiner auf der Weinkarte müssen sich nicht verstecken. Das 0,2l-Glas Hauswein, der respektable Son Colom aus Binissalem, kostet ganze 2,85 Euro. Flaschenweine von den besten mallorquinischen Weingütern bewegen sich zwischen 15 und gut 20 Euro. Da kommt der Superwein 4 Kilos für gerade über 50 Euro schon als Ausreißer daher. Rein gar nichts konnte den schönen Abend schmälern, und er endete so, wie er begonnen hatte: Brot, Oliven, Salz und Aioli am Anfang waren wie erwähnt aufs Haus gegangen, der milde Anisschnaps mit einer Note Ananas schloss sich dem an. Bleibt nur, den drei jungen Leuten Glück zu wünschen. ros