The Wine Side
Gastrobar wunderbar
Kulinarisch war das Hafenviertel von Alcudia lange Zeit eher Diaspora: so weit Auge und Gaumen reichen, nichts als das übliche Pizza-Pasta-Paperlapapp. Bis der Weinkenner Toni Cabanellas Valls das Ecklokal an der autofreien Straße hinunter zur Bucht übernahm und es binnen weniger Monate – auch mithilfe der Kochkünste seiner Mutter Joanna – zu einem spannenden Hotspot umgestaltete. The Wine Side ist im besten Sinne eher eine Gastrobar modernsten Zuschnitts denn ein klassisches Restaurant: Die Bar manifestiert sich hier in einer stattlichen, stetig wachsenden Weinauswahl, das Gastro in kundig zubereiteten, kleinen bis mittelgroßen zeitgemäßen Gerichten mit sehr viel Fisch und Meeresgetier und wenig, aber ausgesuchtem Fleisch – und alles wird aus Prinzip so serviert, dass man es sich am Tisch teilt. Das können klassische Tapas sein, von sauren Sardinen (9,50 Euro) bis hin zu pikanten Patatas bravas (7,50 Euro). Viel häufiger aber sind es interessante Speiseminiaturen, die als Raciones oft in zwei verschiedenen Größen geordert werden können. Im seltenen Notfall, wenn zum Beispiel alle Außenplätze besetzt sind oder es in den Nebensaisons trotz hängender Halogenstrahler zu zugig ist, lässt sich auch im kleinen verglasten Innenbereich an ein paar eher unbequemen Sitzmöbeln speisen. Sonst aber sitzt man hier draußen direkt an der von Flaneuren stark frequentierten Straße und kann zwischen den Gängen den hier fast nie abreißenden Passantenstrom beobachten. Wobei „Gang“bei diesem Gastronomiekonzept kein treffender Begriff ist, wie uns Toni in bestem Englisch erläutert: Die Küche sei hier so klein, dass man die georderten Speisen – zu zweit reichen fünf herzhafte Gerichte und ein kleiner Nachtisch – in der Reihenfolge essen muss, wie sie dort zubereitet werden. Mutter Johanna hat am heutigen Sonntagnachmittag frei, in der winzigen Küchenzelle wirbeln konzentriert arbeitende Jungköche. Und die verstehen ihr Handwerk, wie sich im Laufe unseres Tests zeigen sollte. Doch als erstes gilt es, die auf Klemmbrettern gespannten Seiten von Speise- und Weinkarte zu bewältigen. Dass die Weinliste (Flaschen 15 bis 290 Euro) bei diesem Restaurantnamen mehr bieten muss als ein paar Posten, war zu erwarten. Doch schon die vorläufige Auswahl zu Beginn der Saison nimmt acht eng beschriebene DIN-A4-Seiten ein – und soll, wie uns Cabanellas erzählt, noch deutlich größer werden. Die Einheimischen, die rings um uns herum das Restaurant bevölkern, trinken größtenteils gleich ganze Flaschen, wie sie das sonntags eben so machen. Wir wollen uns zusammenreißen und bestellen erst einmal jeder ein Glas von der ersten Kartenseite, auf der acht Sorten stehen, die entweder als Limited Editions oder zum Teil sogar exklusiv für Cabanellas gekeltert wurden. Sie werden für überraschend milde Preise zwischen 2,50 und vier Euro frischer als anderswo ausgeschenkt, weil an der Bar ein oxidationsfreies „Coravin“-Zapfsystem installiert worden ist. Auch für die Speisenauswahl sollte man ein wenig Zeit mitbringen, denn hier wird fein, leicht, frisch und zeitgemäß mit viel Asia-Einschlag gekocht. Eine ganze Seite listet ausschließlich Rohfischgerichte: von dem am Nachbartisch servierten, perfekt aussehenden Tuna-Tataki bis zum Tiradito vom Blaudornhai-Inselfisch Negrito – in Sashimi-Form geschnitten und mit Knoblauch und Limette peruanisch mariniert (je 18,50 Euro). Japan, Mallorca und Mittelamerika sind im trauten Nebeneinander vertreten: Es gibt das Inselbrot Pa amb Oli (4,50 Euro, auch in glutenfreier Variante), aber auch frittiertes Huhn „Nikkei Style“(14 Euro) und Softshell-Krabben in Tempura (18 Euro). Und als typisch spanischen Sattmacher: Huevos rotos („zerbrochene“Eier): ein pochiertes Ei auf einem Berg krosser Pommes mit BellotaSchinken für einen Zehner. Bei den größeren Meeresfruchttellern gehen die Preise rasch nach oben, wie zum Beispiel bei der Seegurke, den gegrillten galizischen Schwertmuscheln oder dem Hummer für zwei Personen mit Rührei und Pommes (25/19/49 Euro). Wir lassen uns überraschen, in welcher Reihenfolge die von uns georderten Gerichte kommen, und trinken erst einmal je ein Glas vom „I Said Hey Joe“-Chardonnay und dem hellen, fruchtigen Rosé „Doo Do Doo“. Beide passen sehr gut zu den groß- und gelbfleischigen galizischen Miesmuscheln (7/11 Euro) in leichter und doch herzhafter Weißweinsauce, die wir mit dem typischen salzarmen Graubrot restlos auftunken. Die Schalen legen wir in die zu jedem Flight frisch aufgedeckten witzigen weißen Blechteller mit blauem Rand. Unsere Weine begleiten auch noch gut die gratinierte Jakobsmuschel in der Schale (sechs Euro): Unter der Bröselkruste steckt die Miniatur eines schmackigen Meereseintopfes nach der Art einer Clam Chowder aus sehr klein geschnittenen Stücken von der Scallop, gemischt mit Seeteufel, Gambas, diversem Muschelfleisch, Möhren und Sahne. Davon könnte ich gleich noch drei bestellen, aber dann hätten wir die feinen dreierlei Kroketten (9,50 Euro) mit knuspriger Kruste und cremig-geschmacksstarken Füllungen (Schinken-Käse, japanische Spider-Crab, Taschenkrebs) nicht genießen können. Und auch nicht die zarten, aber leider fettstrotzenden „Lammkoteletts aus Burgos“, die zwar mit den erwähnten leckeren Pommes kommen, mit 17,50 Euro aber ziemlich hochpreisig sind. Das Adlerfisch-Ceviche dagegen gehört zu den besten seiner Art, die ich je auf der Insel gegessen habe, und ist jeden ihrer 17 Euro wert: festes Filet in perfekt nicht zu säuerlich abgeschmecktem Limettendressing, der berühmten „Leche de tigre“. Dazu ultrafrische Begleiter wie rote Zwiebeln, Mango, Avocado, Chili, Koriander und überraschend gut ins Konzept passender Feldsalat. Bei Bestellung, Servieren und Abräumen blinzelt uns Toni mehrfach zu – er weiß natürlich, dass die Rohfischteller seine Signature Dishes sind. Wir trinken dazu zwei Weiße, einen Albariño von der Viña Sobreira aus der D.O. Rias Baixas und den apfelig-straffen „Doo Do Doo“-Godello aus dem Bierzo. Die passen auch noch zum geteilten Mini-Dessert, einer erfrischenden Limettenmousse.
pesi