Zugriff vor dem Morgengrauen
Terror Er kam als Flüchtling und machte aus der Nähe zum IS keinen Hehl: Der Fall des in Hessen bei einer Großrazzia verhafteten Tunesiers wirft Fragen im Umgang mit Terrorverdächtigen auf
Frankfurt am Main Als das schwer bewaffnete Sondereinsatzkommando der Polizei die Frankfurter Wohnung des Terrorverdächtigen stürmt, ist es noch dunkel. Gegen 4.00 Uhr brechen die Beamten des hessischen Landeskriminalamts die Tür auf und verhaften den Tunesier. Fast drei Monate hat die Polizei den 36 Jahre alten Asylbewerber rund um die Uhr überwacht, auch beim Verfassungsschutz von Bund und Land war er kein Unbekannter. Die Ermittler sind überzeugt, dass der Mann einen Terroranschlag in Deutschland verüben wollte, auch wenn er sich wohl noch kein Anschlagsziel ausgesucht hatte.
„Es gab keine konkrete Anschlagsgefahr in dem Sinne, dass ein kurz bevorstand“, sagt Generalstaatsanwalt Alexander Badle. Hinweise auf eine Verbindung des 36-Jährigen zu dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, seinem Landsmann Anis Amri, gebe es nicht. „Jedenfalls bisher“, betont Badle.
Dennoch ist der als Asylbewerber nach Deutschland eingereiste Mann nach Einschätzung der Behörden hochgefährlich. In seiner Heimat Tunesien soll er den Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis im März 2015 mitgeplant haben. Damals starben mehr als 20 Menschen – die meisten waren Urlauber aus Italien und Frankreich.
Auch in Deutschland gab sich der Tunesier wenig Mühe, seine islamis- tischen Aktivitäten zu verbergen: Schon kurz nach seiner Einreise fünf Monate nach dem Terroranschlag fiel er den Behörden als Anwerber und Schleuser für die Terrormiliz IS auf. Er soll ein ganzes Netzwerk an Unterstützern aufgebaut haben. Vergangenen August verhaftete die Polizei den Tunesier, weil er noch eine Reststrafe wegen Körperverletzung verbüßen musste. An die Strafe schloss sich Auslieferungshaft an. Die tunesischen Behörden hatten ein entsprechendes Ersuchen nach Deutschland geschickt.
Doch dann nahm der Fall ähnlich wie der des Berlin- Attentäters Amri einen schwer nachvollziehbaren, fragwürdigen Lauf: Weil Tunesien die für die Auslieferung notwendiTerroranschlag gen Papiere trotz mehrfacher Aufforderung nicht binnen 40 Tagen lieferte, wurde der Verdächtige nach Ablauf dieser gesetzlichen Frist am 4. November freigelassen.
Ähnlich wie jüngst der nordrhein-westfälische SPD-Innenminister Ralf Jäger wehrt sich nun auch Hessens CDU-Innenminister Beuth gegen den Eindruck einer Panne. Doch anders als im Fall Amri überwachten 150 Polizeibeamte den terrorverdächtigen Tunesier nach seiner Freilassung aus der Auslieferungshaft rund um die Uhr, bis sie jetzt erneut zugriffen. In ganz Hessen durchsuchten mehr als 1100 Beamte 54 Wohnungen, Geschäfte und Moscheen, um das Islamisten-Netzwerk zu zerschlagen.