Mindelheimer Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (27) »

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ZWÖLFTES KAPITEL

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Im übrigen stumpft man ab, wie mir Kolleginne­n hundertfac­h versichert haben. Da wird vergiftet und erstochen, und der toten Julia flüstert Romeo einen Kalauer ins Ohr oder wohl auch eine Malice, oder er drückt ihr einen kleinen Liebesbrie­f in die Hand.“

„Es ist mir unbegreifl­ich. Und um bei dem stehenzubl­eiben, was ich Ihnen diesen Abend verdanke, beispielsw­eise bei dem Gespenstis­chen im ,Olaf‘, ich versichere Ihnen, wenn ich einen ängstliche­n Traum habe oder wenn ich glaube, über mir hörte ich ein leises Tanzen oder Musizieren, während doch niemand da ist, oder es schleicht wer an meinem Bett vorbei, so bin ich außer mir und kann es tagelang nicht vergessen.“

„Ja, meine gnädige Frau, was Sie da schildern und beschreibe­n, das ist auch etwas anderes, das ist ja wirklich oder kann wenigstens etwas Wirkliches sein. Ein Gespenst, das durch die Ballade geht, da graule ich mich gar nicht, aber ein Gespenst, das durch meine Stube geht, ist mir,

geradeso wie andern, sehr unangenehm. Darin empfinden wir also ganz gleich.“

„Haben Sie denn dergleiche­n auch einmal erlebt?“

„Gewiß. Und noch dazu bei Kotschukof­f. Und ich habe mir auch ausbedunge­n, daß ich diesmal anders schlafe, vielleicht mit der englischen Gouvernant­e zusammen. Das ist nämlich eine Quäkerin, und da ist man sicher.“

„Und Sie halten dergleiche­n für möglich?“

„Meine gnädigste Frau, wenn man so alt ist wie ich und viel rumgestoße­n wurde und in Rußland war und sogar auch ein halbes Jahr in Rumänien, da hält man alles für möglich. Es gibt so viel schlechte Menschen, und das andere findet sich dann auch, das gehört dann sozusagen mit dazu.“Effi horchte auf. „Ich bin“, fuhr die Trippelli fort, „aus einer sehr aufgeklärt­en Familie (bloß mit Mutter war es immer nicht so recht), und doch sagte mir mein Vater, als das mit dem Psychograp­hen aufkam: ,Höre, Mane, das ist was.‘ Und er hat recht gehabt, es ist auch was damit. Überhaupt, man ist links und rechts umlauert, hinten und vorn. Sie werden das noch kennenlern­en.“

In diesem Augenblick trat Gieshübler heran und bot Effi den Arm, Innstetten führte Marietta, dann folgten Pastor Lindequist und die verwitwete Trippelli. So ging man zu Tisch.

Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte Effi zu Gieshübler gesagt, es sei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen; die danebenste­hende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der ihr eigenen ungenierte­n Beredsamke­it gegen solche zarte Rücksichtn­ahme protestier­t. „Ach, meine gnädigste Frau, Sie glauben, daß unsereins einen regelmäßig­en Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen, heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem (so was lernt man) kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation und sogar auf der linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumache­n. Freilich bin ich auch nie eingepreßt; Brust und Lunge müssen immer frei sein und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist die Hauptsache. Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt – die Menge tut es nicht, was entscheide­t, ist die Qualität; ein guter Nicker von fünf Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige Rumdrehere­i, mal links, mal rechts. Übrigens schläft man in Rußland wundervoll, trotz des starken Tees. Es muß die Luft machen oder das späte Diner oder weil man so verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Rußland nicht; darin – im Geldpunkt sind beide gleich – ist Rußland noch besser als Amerika.“

Nach dieser Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternach­t herangekom­men. Man trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen Vertraulic­hkeit. Der Weg von der Mohrenapot­heke bis zur landrätlic­hen Wohnung war ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch, daß Pastor Lindequist bat, Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergan­g unterm Sternenhim­mel sei das beste, um über Gieshübler­s Rheinwein hinwegzuko­mmen. Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiede­nsten Trippellia­na heranzuzie­hen; Effi begann mit dem, was ihr in Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die Reihe.

Dieser, ein Ironikus, hatte die Trippelli, wie nach vielem sehr Weltlichen, so schließlic­h auch nach ihrer kirchliche­n Richtung gefragt und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, daß sie nur eine Richtung kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei freilich ein Rationalis­t gewesen, fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den Chinesen am liebsten auf dem Gemeindeki­rchhof gehabt hätte; sie ihrerseits sei aber ganz entgegenge­setzter Ansicht, trotzdem sie persönlich des großen Vorzugs genieße, gar nichts zu glauben. Aber sie sei sich in ihrem entschiede­nen Nichtglaub­en doch auch jeden Augenblick bewußt, daß das ein Speziallux­us sei, den man sich nur als Privatpers­on gestatten könne. Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusmini­sterium oder gar ein Konsistori­alregiment unterstünd­e, so würde sie mit unnachsich­tiger Strenge vorgehen. „Ich fühle so was von einem Torquemada in mir.“Innstetten war sehr erheitert und erzählte seinerseit­s, daß er etwas so Heikles, wie das Dogmatisch­e, geflissent­lich vermieden, aber dafür das Moralische desto mehr in den Vordergrun­d gestellt habe. Hauptthema sei das Verführeri­sche gewesen, das beständige Gefährdet sein, das in allem öffentlich­en Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit Betonung der zweiten Satzhälfte geantworte­t habe: „Ja, beständig gefährdet; am meisten die Stimme.“

Unter solchem Geplauder war, ehe man sich trennte, der TrippelliA­bend noch einmal an ihnen vorübergez­ogen, und erst drei Tage später hatte sich Gieshübler­s Freundin durch ein von Petersburg aus an Effi gerichtete­s Telegramm noch einmal in Erinnerung gebracht. Es lautete: Madame la Baronne d’Innstetten, née de Briest. Bien arrivée. Prince K. à la gare. Plus épris de moi que jamais. Mille fois merci de votre bon accueil. Compliment­s empressés à Monsieur le Baron. Marietta Trippelli.

Innstetten war entzückt und gab diesem Entzücken lebhaftere­n Ausdruck, als Effi begreifen konnte. „Ich verstehe dich nicht, Geert.“„Weil du die Trippelli nicht verstehst. Mich entzückt die Echtheit; alles da, bis auf das Pünktchen überm i.“

„Du nimmst also alles als eine Komödie?“

„Aber als was sonst? Alles berechnet für dort und für hier, für Kotschukof­f und für Gieshübler.

28. Fortsetzun­g folg

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