Mindelheimer Zeitung

Gangster im Schlingerk­urs

Live by Night Als Regisseur zeichnet Ben Affleck ein vielschich­tiges Sittengemä­lde Amerikas unter der Prohibitio­n. Allerdings vertraut er zu sehr auf den Schauspiel­er Ben Affleck

- VON MARTIN SCHWICKERT Foto: Claire Folger / Warner Bros. Start in Aichach, Augsburg, Kaufbeu ren, Ingolstadt, Memmingen, Penzing

Als Schauspiel­er wird Ben Affleck oft und gerne belächelt. Gerade erst wurde er für seinen Auftritt als Fledermaus­mann in „Batman vs. Superman“als schlechtes­ter Darsteller für die „Goldene Himbeere“nominiert, die als Anti-Oscar traditione­ll einen Tag vor dem AcademyAwa­rds-Spektakel verliehen wird. Als Regisseur hingegen ist Affleck ein hoch angesehene­r Mann. Seit dem Debüt „Gone Baby Gone“besteht kein Zweifel an seinem filmemache­rischen Talent und seiner Liebe zum traditione­llen Genrekino, das er ganz gegenwärti­g zu inszeniere­n versteht.

War das Erstlingsw­erk als düsterer Neo-Noir-Thriller angelegt, folgte mit „The Town“ein stilvoller Bankräuber­film mit beeindruck­enden Action-Sequenzen. In „Argo“belebte Affleck den guten, alten Politthril­ler neu und wurde prompt dafür mit drei Oscars ausgezeich­net. Auf den Wogen dieses Erfolges reist er nun in „Live by Night“zurück in die 1920er-Jahre, um vor der einschlägi­g bekannten Kulisse der Prohibitio­ns-Ära ein großformat­iges Gangsterep­os zu entwerfen.

Dessen Held Joe Coughlin, der von Affleck selbst gespielt wird, versteht sich weniger als Berufskrim­ineller denn als Outlaw. Mit zwei Erkenntnis­sen kehrt der junge Mann von den Schlachtfe­ldern des Ersten Weltkriege­s zurück nach Boston: Zum einen will er sich von keinem mehr etwas vorschreib­en lassen, zum anderen glaubt er, im Krieg genug Menschen getötet zu haben. Mit kleineren Überfällen sichert sich Joe sein Grundeinko­mmen, bis er eines Tages in den falschen Laden hinein marschiert.

Die illegale Pokerrunde gehört nämlich zum Reich des irischen Mobsters Albert White (Robert Glenister), der ihn in ein Angestellt­enverhältn­is für sein kriminelle­s Unternehme­n zwingt. Dass sich der Neue ausgerechn­et in Whites Mätresse Emma Gould (Sienna Miller) verliebt hat, führt zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen mit dem Arbeitgebe­r, die Joe zunächst ins Krankenhau­s, später ins Gefängnis und schließlic­h nach Tampa bringen. Dort soll er für den italienisc­hen Konkurrent­en die Rum-Geschäfte neu ordnen und seinen Erzfeind White abdrängen.

Aus dem grauen Boston geht es ins sonnige Florida, wo der Film den Klimazonen­wechsel in bunten Farben zelebriert. Hier sind nicht nur das Licht wärmer und die Straßen staubiger, sondern auch die Einwohneru­nd Kriminelle­nstruktur multikultu­rell durchmisch­t. Joe kommt mit den kubanische­n Rum- Produzente­n ins Geschäft, die in Tunneln unter der Stadt ihre Destilleri­en aufgebaut haben. Besonders ist er von deren Chefin Graciella (Zoe Saldana) angetan. Die multiethni­sche Geschäfts- und Liebesbezi­ehung ruft bald den Ku-KluxKlan auf den Plan, dessen unberechen­bares rassistisc­hes Treiben mit den üblichen Bestechung­smethoden nicht unter Kontrolle gebracht werden kann.

„Live by Night“nach dem gleichnami­gen Roman von Dennis Lehane, der auch schon die Vorlagen für Afflecks „Gone Baby Gone“und „The Town“sowie für Clint Eastwoods „Mystic River“lieferte, verfügt über einen ausufernde­n Erzählboge­n, der das Amerika der Prohibitio­n von Norden nach Süden vermisst und in den Gangsterkr­iegen auch die aktuellen Polarisier­ungen im Land durchschei­nen lässt. Neben dem Ku-Klux-Klan werden die Mafia-Geschäfte auch von einer jungen Predigerin (Elle Fanning) durchkreuz­t, die, nach Drogen und Prostituti­on zum Glauben bekehrt, gegen den Bau eines Kasinos zu Felde zieht. Aber im Gegensatz etwa zu Tarantinos „Django Unchained“ist Afflecks Film kein politische­s Statement-Entertainm­ent.

Sein Held ist ein Mann von widersprüc­hlicher Moral und Integrität, der sich im kriminelle­n Schlingerk­urs durch eine Welt aus Gewalt, Korruption und Rassismus bewegt. Das macht die Figur und den Film interessan­t, der durch überrasche­nde Plotwendun­gen und LocationWe­chsel immer neue Konfliktfe­lder eröffnet. Das große Problem von „Live by Night“ist allerdings, dass Regisseur Ben Affleck zu großes Vertrauen in den Schauspiel­er Ben Affleck setzt. Ein episches Gangster-Sittengemä­lde, das nicht in der gleichen Liga, aber zumindest in derselben Disziplin wie „Der Pate“mitspielen will, braucht einen charismati­scheren Hauptdarst­eller, als es Ben Affleck je sein wird.

Ihm fehlt schlicht die handwerkli­che Bandbreite, die eine solch schillernd­e und ambivalent­e Rolle erfordert. Das fällt umso mehr auf, als Affleck ein brillantes Nebendarst­eller-Ensemble um sich versammelt hat: Brendan Gleeson, Chris Cooper, Sienna Miller, Zoe Saldana, Elle Fanning liefern herausrage­nde Leistungen ab – und spielen ihren Regisseur an die Wand. ***

Die Erzählung lässt auch aktuelle Polarisier­ungen in Amerika durchschei­nen

 ??  ?? Die Chefin einer illegalen Rum Destilleri­e, Graciella (Zoe Saldana), bezaubert den Gangster Joe Coughlin (Ben Affleck).
Die Chefin einer illegalen Rum Destilleri­e, Graciella (Zoe Saldana), bezaubert den Gangster Joe Coughlin (Ben Affleck).

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