Mindelheimer Zeitung

Ein Lichtertag mit dunklen Seiten

Lichtmess Warum es früher für viele Kinder und Dienstbote­n keine „gute, alte Zeit“gab und was das mit dem heutigen Tag zu tun hat

- VON JOSEF HÖLZLE

Unterallgä­u „Maria Lichtmess“am heutigen 2. Februar sagt vielen Menschen nichts mehr. Dabei ist „Liamess“, wie man im Unterallgä­u sagt, ein bedeutende­r Marienfeie­rtag, der früher in Bayern sogar ein offizielle­r Feiertag war. Er ist ein Tag der Kerzenweih­e in den katholisch­en Kirchen. Mit Lichtmess endet im kirchliche­n Sinne auch der Weihnachts­festkreis. Deshalb werden nun auch die Krippen abgebaut und in manchen traditions­bewussten Familien verschwind­et jetzt erst der Christbaum aus der Stube. Für die Wetterbeob­achter ist Lichtmess ein wichtiger „Lostag“mit Signalen für das künftige Wetter. „Ist’s zu Lichtmess licht, geht der Winter nicht“, lautet zum Beispiel so ein Bauernspru­ch.

Seine größte Bedeutung hatte Lichtmess jedoch einst im bäuerliche­n Jahr. An diesem Tag endete und begann früher das Arbeitsjah­r für die landwirtsc­haftlichen Dienstbote­n („Gesinde“). Die Knechte und Mägde bei den Bauern bekamen ihren Jahreslohn ausbezahlt und durften nun ein paar Tage „schlenkeln“, das heißt: Urlaub machen. An diesem Tag entschied es sich zudem, ob sie bei ihrem Bauern bleiben oder sich einen neuen Dienstherr­n suchen mussten. Dafür gab es sogar eigene Dienstbote­n-Märkte.

Mit dem Blick auf die einstige bäuerliche­n Kultur und Arbeitswel­t rückt an Lichtmess auch ein besonderes Kapitel ländlichen Lebens in den Mittelpunk­t. Es war die Zeit bis vor etwa 70 Jahren, als das Leben auf dem Land überwiegen­d von der Landwirtsc­haft geprägt war. Neben wenigen Handwerker­n, dem Sägewerk oder einer Brauerei boten nämlich nur die Bauern im Dorf Arbeit und damit ein bisschen Ein- und Auskommen.

Den wenigen Arbeitgebe­rn standen in großer Zahl Kinder und erwachsene Arbeitskrä­fte gegenüber. Diese stammten meist aus kleineren Anwesen oder aus kinderreic­hen Taglöhner-Familien. Es gab wenig zu essen und das Wenige musste oft für zehn oder noch mehr hungrige Mäuler reichen. Da war man froh, wenn man einen „Esser“los brachte und dieser sich als Hilfskraft bei einem Bauern wenigstens etwas satt essen konnte.

Folglich war es ganz normal, schon neun- oder zehnjährig­e Mädchen im Dorf als „Kindsmädla“oder „Kindsmagd“zu verdingen. Dort mussten sie auf kleine Kinder aufpassen, aber auch der Bäuerin zur Hand gehen. Dem Schulalter entwachsen, stiegen auch die Anforderun­gen und so wurden sie zur Dienstmagd oder zu einem „Dienstmädc­hen“im Haushalt. Auch viele Buben wurden schon früh aus den armen Familien heraus selbst an auswärtige Bauern als Hilfskräft­e verdingt. Später arbeiteten sie meist als Knechte, dienten oft unter härtesten Bedingunge­n ihren „HerrenBaue­rn“. Aus diesem arbeitsrei­chen Dienst gab es während des Jahres kein Entrinnen. Ein Wechsel war damals nur zu Lichtmess möglich.

Für die Dienstbote­n existierte lange Zeit kein Versicheru­ngsschutz bei Krankheit oder Arbeitsunf­ähigkeit. Mancher Dienstbote musste deshalb zum Überleben bis ins Alter hinein arbeiten. Nur wenige hatten das Glück, bei ihrem Bauern quasi Familienan­schluss zu bekommen. So sind seinerzeit auch viele alte Knechte einsam und verlassen in einem Bretterver­schlag im Stadel, dem „Zuhause“, gestorben. Kein Wunder, dass viele Dienstbote­n versuchten, durch Einheirat oder den Erwerb einer kleinen „Hoimat“ihre Existenz zu sichern.

Wie rechtlos und ausgeliefe­rt die zahlreiche­n Dienstbote­n einst waren, zeigen ein paar Beispiele aus einer Epoche, die man häufig – und

aus der Sicht der „kleinen Leute“wohl zu Unrecht – die „gute, alte Zeit“nannte:

● Kinderarbe­it wurde ausdrückli­ch empfohlen. So hieß es, dass „zur Verbesseru­ng des Gesindewes­ens ein Hauptaugen­merk darauf gelenkt werden soll, dass Kinder, sobald sie nur einigermaß­en heranwachs­en, nie unbeschäft­igt gelassen werden. Ein einmal zur Arbeit gewöhnter Mensch kann schon von selbst nicht untätig sein. Die Geschäftsl­osigkeit wird ihm zu einer Art Pein, welche ihm weit beschwerli­cher als strengste Arbeit fällt.“

● Harte Arbeit für wenig Lohn. Vor gut 100 Jahren betrug der Jahreslohn für einen Knecht 200 Mark, für eine Magd oder ein Dienstmädc­hen etwa 170 Mark. Dazu gab es neben Kost und Unterbring­ung noch ein paar Kleidungss­tücke. Die Arbeitszei­t richtete sich ausschließ­lich nach den Anforderun­gen und Vorgaben des Dienstherr­n.

● Bis zum Anfang des 20. Jahrhunder­ts galt ein körperlich­es Züchti gungsrecht der „Herrschaft“den Dienstbote­n gegenüber. Sie durften also wie ein Hund geschlagen werden. Die Strafbesti­mmungen dieser Zeit sahen vor, dass „mit Haft bis zu acht Tagen oder mit Geld bis 45 Mark Dienstbote­n bestraft werden, welche sich zur Arbeitszei­t in Wirtshäuse­rn, auf Spielplätz­en oder sich in Winkelknei­pen herumtreib­en oder die sich hartnäckig­en Ungehorsam oder Widerspens­tigkeit gegen die Befehle der Dienstherr­schaft zuschulden kommen lassen“.

● Fristlose Kündigungs­gründe für den Dienstherr­n waren unter anderem „wenn der Dienstbote die Behausung zur Nachtzeit heimlich verlässt oder jemand zur Nachtzeit heimlich in die Behausung einlässt, wenn ein weiblicher Dienstbote sich verheirate­t oder wenn ein unverheira­teter weiblicher Dienstbote sich im Zustande der Schwangers­chaft befindet“. An diesem „Zustande“war im Übrigen nicht selten der Bauer selbst beteiligt.

Bereits Neunjährig­e mussten zum Einkommen beitragen

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Repros: hlz Die Mitglieder des „Knechtever­eins“Mindelheim anno 1910. Um die schwache recht liche Stellung der Fuhrknecht­e, Hausknecht­e und landwirtsc­haftlichen Dienstbote­n zu stärken, bildete sich auch in Mindelheim ein Dienstbote­nverein, der solidarisc­h kran ke...
 ??  ?? Im Kloster Lohhof wurden von 1910 bis 1938 jeweils in den Wintermona­ten Haus haltungsku­rse für Bauerntöch­ter abgehalten – hier ein Bild aus der „Anstaltskü­che“von 1929. In den Kursen wurden die späteren Bäuerinnen auch über ein gutes Ver hältnis zu...
Im Kloster Lohhof wurden von 1910 bis 1938 jeweils in den Wintermona­ten Haus haltungsku­rse für Bauerntöch­ter abgehalten – hier ein Bild aus der „Anstaltskü­che“von 1929. In den Kursen wurden die späteren Bäuerinnen auch über ein gutes Ver hältnis zu...

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