Lieber daheim als im Heim
Seit Januar haben mehr Menschen die Chance auf Unterstützung. Ambulant geht vor stationär. Noch ist jedoch Vieles unklar
Mindelheim Die Menschen werden älter, und viele von ihnen können einen gesunden Lebensabend genießen. Das ist die schöne Seite. Aber nicht allen ist dieses Glück hold. Ein wachsender Teil älterer Menschen ist auf Hilfe angewiesen. Zum Jahreswechsel hat der Gesetzgeber nun das Pflegegesetz reformiert. Jetzt gibt es fünf Pflegegrade statt der bislang geltenden drei Pflegestufen mit der Aussicht, dass mehr Patienten als bisher in den Genuss von Leistungen kommen.
Neu ist vor allem, dass nicht nur die körperlichen Einschränkungen, sondern auch geistige und psychische Erkrankungen wie Alzheimer oder Demenz gleichberechtigt Einfluss auf die Einstufung der Pflegebedürftigkeit und die Bewilligung von Pflegeleistungen nehmen. Die AOK-Direktion in Memmingen mit Geschäftsstellen in Mindelheim, Bad Wörishofen und Türkheim im östlichen Landkreis ist die mit Abstand größte gesetzliche Krankenkasse im Unterallgäu. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist bei der AOK versichert. Der in Mattsies wohnende Johannes Jähn ist Fachteamleiter der Pflegekasse bei der AOK in Memmingen. Jähn sieht die Reform insgesamt positiv, vor allem weil mehr Betroffene die Chance auf Leistungen aus der Pflegeversicherung haben.
Bundesweit stehen durch die Gesetzesänderung jährlich rund fünf Milliarden Euro mehr für die Pflege bereit. Dazu wurden die Beiträge in die Pflegekasse um 0,2 Prozent angehoben. Kinderlose zahlen 2,80 Prozent vom Bruttolohn, Eltern 2,55 Prozent.
Rund 2900 bei der AOK versicherte Frauen und Männer erhalten im Unterallgäu mit der kreisfreien Stadt Memmingen Leistungen für die ambulante oder stationäre Pflege. Insgesamt dürften es rund 5500 sein. Sicher ist derzeit nur, dass es mehr Anspruchsberechtigte werden als bisher.
Noch liegen allerdings keine Zahlen vor, wie sich die Pflegereform vor Ort auswirken wird. Der Hauptgrund: Die Abteilung Pflegeversicherung des Medizinischen Dienstes Bayern hatte noch bis Ende Januar alle Hände voll mit Altfällen zu tun. Viele Betroffene hatten im November und Dezember noch einen Antrag auf Leistungen nach dem alten Recht gestellt.
Wem es gelungen ist, eine Anerkennung zu bekommen, kann sicher sein, dass er automatisch in einen höheren Pflegegrad übergeleitet wird. Es wird also mit der Pflegereform niemand schlechter gestellt, versichert Jähn.
Der Fachmann warnt allerdings vor allzu übertriebenen Hoffnungen. Vergleichsweise leicht könne es sein, in den Genuss des Pflegegrades I zu kommen. Hier kann zum Beispiel Geld fließen, um eine Dusche altengerecht umbauen zu lassen. Ziel sei, dass die Menschen möglichst lange in ihrem vertrauten Umfeld leben können. Pflegegeld gibt es bei Pflegegrad I noch nicht, sagt Jähn.
Pflegegrad II zu erhalten sei hingegen nicht sehr einfach. „Das wurde teilweise missverständlich kommuniziert“, sagt der Fachmann. Da seien zu große Hoffnungen geweckt worden.
Wer Hilfe aus der Pflegekasse benötigt, soll innerhalb von 25 Tagen eine Entscheidung vorliegen haben. Das sei derzeit von den Mitarbeitern des MDK nicht einzuhalten. Jähn rät in jedem Fall, einen Pflegeberater in Anspruch zu nehmen. Bei der AOK ist das Achim Kunz. Er berate neutral, betont Jähn. Viele Patienten wüssten gar nicht, auf welche Pflegeleistungen sie einen Anspruch haben.
Zum Beispiel verbessert sich die Altersabsicherung für pflegende Angehörige. Die Pflegekasse zahlt also unter Umständen in die Rentenkasse, wenn zum Beispiel Tochter oder Sohn die Eltern daheim versorgen.
Ein Problem bleibt bestehen. Von den rund 39 ambulanten Pflegediensten, die es im Unterallgäu gibt, klagen viele über Personalmangel. Es fehlt an Fachkräften. Immerhin können diese Unternehmen nun ihren Aufwand etwas besser abrechnen, sagt Jähn. Das könnte die Pflegeberufe attraktiver machen.