Die Finnen führen uns aufs Glatteis
Jochen, der NETTE Kollege aus Stuttgart (endlich liest er, was er seit Tagen lesen will), und ich haben hier in Lahti jeden Tag ein mulmiges Gefühl. Nicht etwa deshalb, weil ein deutscher Kombinierer (unerwartet) oder ein deutscher Langläufer (erwartet) in der Loipe einbrechen könnte. Nein, wir selbst befürchten tagtäglich bei unserem 20-minütigen Marsch von unserem Appartement zum Skistadion einen folgenschweren Einbruch. Denn wir haben es den tausenden Finnen gleichgetan, die den zugefrorenen Vesijärvi-See unweit des Stadtzentrums als riesigen Freizeitpark nutzen. Sie surfen hier übers Eis, knallen unermüdlich Pucks an leeren Eishockey-Toren vorbei – oder führen einfach nur ihren Wauwau aufs Glatteis. Warnschilder, auf denen vom Verzehr von gelbem Schnee abgeraten wird, finden wir nicht.
Auch bunte Gummistiefel suchen wir auf dem blanken Eis vergeblich. Wir haben nämlich gehört, dass angeblich 99 Prozent aller Finnen Sport treiben und besonders kreativ im Erfinden neuer Sportarten sind. So zählt neben Sumpffußball und (Achtung, liebe Emanzipationsfanatiker) Frauentragen auch der Gummistiefel-Weitwurf zu den Lieblingsbeschäftigungen in und um Lahti. Den Weltrekord hält ein gewisser Antti Ruusuvirta mit 68,03 Metern. Aber ganz ehrlich, so weit haben wir uns nun wirklich nicht weggetraut – vom Ufer.
So schlendern wir an der „falschen“Seite an festgefrorenen Ausflugsdampfern vorbei und erinnern uns ganz beiläufig an Berti Vogts Wehklagen („Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann der“), denken an die vielen kleinen Fischchen unter uns und halten plötzlich inne, weil es verdächtig knackst. Mist, schießt es mir durch den Kopf, sie haben doch höhere Temperaturen vorhergesagt. Das Eis wird doch nicht ...
Die Gelassenheit der vielen Finnen um uns rum sorgt aber schnell für Beruhigung. Dennoch, morgen werde ich Jochen, der zweifelsohne zu den „Schwergewichten“des deutschen Sportjournalismus zählt, beim Betreten des Vesijärvi weismachen, dass ich noch was im Haus vergessen hätte. Er kann ja schon mal allein vorausgehen...