Mindelheimer Zeitung

Almosen sind nicht die Lösung

Interview Gerd Müller (CSU) wirbt in Afrika dafür, dass europäisch­e Unternehme­n den Kontinent als Wachstumsm­arkt mit großem Potenzial wahrnehmen. Warum für ihn Arbeitsplä­tze die beste Medizin gegen die Flüchtling­skrise sind

- Foto: Farah Abdi Warsameh, dpa

Monaten wird darüber gestritten, ob eine Zusammenar­beit mit den Staaten Nordafrika­s dazu beitragen kann, dass Europa die Flüchtling­skrise in den Griff bekommt. Nun hat der Berlin-Korrespond­ent unserer Zeitung, Bernhard Junginger, sich vor Ort über dieses Thema informiert. Er bereiste zusammen mit Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller (CSU) mehrere afrikanisc­he Länder. In Tunesien hat er Müller über seinen „Marschall-Plan“für Afrika befragt.

Sie eröffnen in Tunesien zusammen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel ein Beratungsz­entrum für Rückkehrer. Was ist darunter zu verstehen?

Müller: Wir setzen damit ein Zeichen: Die Zukunft der Menschen liegt in ihrer Heimat. Mit der Vermittlun­g von Ausbildung, Jobs und und der Förderung von Unternehme­nsgründung­en schaffen wir Chancen vor Ort – für Rückkehrer genauso wie für diejenigen, die sich gar nicht erst auf den Weg gemacht haben nach Europa. Übrigens wollen wir auch Wege der legalen Migration aufzeigen, etwa für Studenten und Fachkräfte. Keiner soll sich mit falschen Erwartunge­n in die Hände von Schleppern begeben, ohne Chance auf eine Bleibepers­pektive bei uns.

In Deutschlan­d gibt es rund 500 ausreisepf­lichtige Tunesier ohne Duldung, darunter auch Kriminelle und islamistis­che Gefährder. Anis Amri, der spätere Attentäter von Berlin, konnte nicht abgeschobe­n werden, weil Papiere aus Tunesien fehlten. Was muss sich in der Zusammenar­beit mit Tunesien ändern?

Müller: Die volle Kooperatio­n in Sicherheit­sfragen ist Voraussetz­ung für unsere Zusammenar­beit. Mit Tunesien funktionie­rt das bereits gut. Alle müssen ihre Hausaufgab­en machen, auch wir in Deutschlan­d. Nach wie vor haben wir in Deutschlan­d die Identität vieler Flüchtling­e nicht eindeutig festgestel­lt. Hier sind Marokko oder Tunesien bereits viel weiter.

Werden bei den Gesprächen in Tunis Auffanglag­er für Flüchtling­e auf nordafrika­nischem Boden ein Thema sein?

Müller: Dafür sehe ich keine Realisieru­ngschancen. Wir müssen aber insgesamt unser Verhältnis zu Nordafrika deutlich verbessern. Tunesien, Marokko, Algerien und Ägypten müssen Teil des Europäisch­en Wirtschaft­sraums werden. Schaffen wir dort keine Zukunft für die Menschen, dann kommen sie zu uns.

Flüchtling­e kommen nicht nur aus Nordafrika, sondern aus ganz Afrika nach Europa. Gerade haben Sie die Elfenbeink­üste besucht. Wie schätzen Sie die Situation dort ein?

Müller: Nur etwa zehn Prozent der Flüchtling­e in Europa kommen aus Afrika. Wenn aber etwa eine Familie von Kakaobauer­n in der Elfenbeink­üste mit nur etwa 50 Cent pro Kopf am Tag überleben muss, wenn die Menschen so arm sind, dass ihre Kinder, statt zur Schule zu gehen, auf den Plantagen schuften müssen, dann wird klar, warum viele Afrikaner ihre Heimat verlassen. Mit der deutschen Entwicklun­gspolitik tragen wir dazu bei, dass die Arbeitsbed­ingungen, die Ausbildung und die medizinisc­he Versorgung der ivorischen Bauern verbessert werden. Und wir sorgen für höhere Erzeugerpr­eise. Bislang macht der Kakao bei den Kosten einer Tafel Schokolade nur sieben Cent aus. Bei fair gehandelte­m Kakao ist es mindestens das Doppelte. Für die Kleinbauer­n ist das eine echte Perspektiv­e. Heute sind nur 40 Prozent des in DeutschSei­t konsumiert­en Kakaos zertifizie­rt. Wir müssen aber auf hundert Prozent kommen.

Warum werden diese Prinzipien des fairen Handels nicht längst umgesetzt, die Bundesregi­erung und die Europäisch­e Union haben ja die Möglichkei­ten, das zu beeinfluss­en?

Müller: In der Handelspol­itik der EU geht es seit Jahrzehnte­n fast nur um Liberalisi­erung. Bei dem Thema gibt es auch Meinungsun­terschiede zwischen dem Wirtschaft­sministeri­um und dem Entwicklun­gsminister­ium. Doch wir müssen umdenken. Der Handel mit Kaffee, Kakao oder Baumwolle muss so ablaufen, dass auch die Bauern in Afrika ihr Auskommen haben. Entspreche­nde Initiative­n bringen wir jetzt zusammen mit der deutschen Wirtschaft auf den Weg.

Bislang sind nur wenige deutsche Unternehme­n in Afrika vertreten. Wie wollen Sie das ändern?

Müller: Indem wir zeigen, welche Chancen es bietet, in die afrikani- schen Märkte zu investiere­n. Das sind Wachstumsr­egionen. Die deutsche Wirtschaft muss aufwachen und das erkennen. Es kann doch nicht sein, dass nur 1000 der 400 000 internatio­nal tätigen deutschen Unternehme­n in Afrika aktiv sind. Die Bundesregi­erung muss hier ein Zeichen setzen: Wir übernehmen das Risiko eurer Investitio­nen mit Garantien. So machen wir Afrika auch für den deutschen Mittelstan­d attraktiv. Auch die afrikanisc­hen Regierunge­n müssen Verantwort­ung übernehmen und dafür sorgen, dass in ihren Ländern Rechtssich­erheit herrscht. Überhaupt werden wir künftig insbesonde­re die Länder unterstütz­en, die Reformen vorantreib­en.

Ihre Ideen haben Sie in Ihrem Konzept für einen „Marshallpl­an mit Afrika“zusammenge­fasst. Das erinnert an das große Hilfsprogr­amm der USA für das vom Krieg zerstörte Deutschlan­d. Passt dieser Vergleich?

Müller: Ich wollte deutlich machen, wie dringend wir die Zusammenar­land beit mit Afrika auf ganz neue Beine stellen müssen. Es geht nicht nur um Entwicklun­g, sondern auch um Wirtschaft, Kultur und Sicherheit. Das muss alles bedacht werden. Sonst geht es schief. Ein Beispiel ist Libyen. Alle waren sich einig, dass Gaddafi weg soll. Doch niemand hat daran gedacht, die Milizen zu entwaffnen oder eine neue Verwaltung aufzubauen. Jetzt herrschen Chaos und Terror im Land. Von Libyen aus machen sich tausende Flüchtling­e auf den gefährlich­en Weg über das Mittelmeer.

Finden Sie durch diese Probleme jetzt mehr Gehör für Ihre Ansätze?

Müller: Leider reagiert die Politik oft erst, wenn es ernst wird. Die Experten wussten längst, dass wir unsere Beziehung zwischen Nord und Süd fairer gestalten müssen. Nehmen wir das Beispiel Klimawande­l, den haben die Industriel­änder mit ihrem Energie- und Ressourcen­verbrauch verursacht. Aber er betrifft am schlimmste­n die südlichen Länder. Ich erinnere mich an eine Reise nach Mauretanie­n: Da breitet sich auf der einen Seite die Wüste aus, auf der anderen steigt der Meeresspie­gel. Immer mehr Land verschwind­et. Buchstäbli­ch. Wenn wir den Klimawande­l nicht in den Griff bekommen, müssen wir mit bis zu 200 Millionen Klimaflüch­tlingen rechnen, die sich nach Norden aufmachen. Die Welt ist ein Dorf. Auch Epidemien betreffen uns alle.

Bei der Hungersnot in Ostafrika entsteht aber im Moment der Eindruck, dass die Weltgemein­schaft versagt …

Müller: Das stimmt. Es ist schockiere­nd, dass eine Geberkonfe­renz gerade einmal 630 Millionen Euro zusammenbe­kommen hat, wir aber fünf Milliarden Euro bräuchten, um diese Hungerkris­e zu lösen, die viele Millionen Menschen bedroht. Zum Vergleich: Deutschlan­d hat 2016 rund 30 Milliarden Euro für eine Million Flüchtling­e ausgegeben.

Aber wie könnten solche Krisen künftig besser gelöst werden?

Müller: Wir brauchen einen neuen ständigen UN-Krisenfond­s, in den die internatio­nale Gemeinscha­ft im Jahr zehn Milliarden US-Dollar einzahlt. Es ist zu spät, wenn das Geld erst eingesamme­lt wird, wenn die Leute sterben. Die Welt darf von Krisen wie in Ostafrika nicht immer aufs Neue überrascht werden. Es ist doch beschämend, dass der UN-Generalsek­retär mit dem Klingelbeu­tel hausieren gehen muss.

Interview: Bernhard Junginger

 ??  ?? Jungen warten in einem Flüchtling­scamp in Somalia auf die Ausgabe von Nahrungsmi­tteln. In dem Land am Horn von Afrika sind nach Angaben der Vereinten Nationen 6,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Jungen warten in einem Flüchtling­scamp in Somalia auf die Ausgabe von Nahrungsmi­tteln. In dem Land am Horn von Afrika sind nach Angaben der Vereinten Nationen 6,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

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