Wächst die Armut wirklich?
Warum die Antwort nicht so einfach ist
Berlin Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ist die Sache klar. „Die Armut stieg fast flächendeckend“, sagt Geschäftsführer Ulrich Schneider bei der Vorlage des neuen Armutsberichts seiner Organisation. Doch kann man das pauschal so sagen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was sind die zentralen Erkenntnisse des neuen Armutsberichts?
In der Mehrheit der Bundesländer sei die Armut 2015 angestiegen. Mit einem Anteil von 15,7 Prozent habe es im Verhältnis zur Bevölkerung seit der Wiedervereinigung nie so viele Arme gegeben – 12,9 Millionen Menschen.
Auf welche Quellen stützt sich der Wohlfahrtsverband?
Auf die Ergebnisse der Volksbefragung Mikrozensus des Statistischen Bundesamts. Von Armut bedroht gilt nach dieser Statistik, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im Bundesdurchschnitt zur Verfügung hat. Allerdings: Die Statistiker sprechen von Armutsgefährdung, der Wohlfahrtsverband von Armut.
Ist die Armut doch nicht gestiegen?
Das hängt von der Sichtweise ab. Verbandsgeschäftsführer Schneider sagt: „Armut beginnt nicht erst dann, wenn Menschen verelenden.“Sie beginne, wenn Menschen nicht an den „ganz normalen Lebensvollzügen dieser Gesellschaft“teilhaben könnten. Deswegen sei die 60-Prozent-Definition richtig. Armut müsse an Notlagen festgemacht werden, sagt hingegen der Ökonom Walter Krämer. So gesehen sinke sie seit Jahren. Caritas-Generalsekretär Georg Cremer argumentierte schon 2015, mit gewachsenem Wohlstand könnten sich die Menschen mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auch mehr leisten.
Welche Armutsdefinition gibt es noch?
Während in Industriestaaten Armut im Verhältnis zum Einkommen der anderen gemessen wird, wird in Entwicklungsländern oft absolute Armut mit einem bestimmten, niedrigen Einkommen erhoben. In der EU hat sich die Messung materieller Entbehrung etabliert: Wer sich vier von neun Ausgabenposten – von angemessener Heizung der Wohnung bis zum Telefon – nicht leisten kann, gilt als materiell abgehängt. 2015 waren demnach 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von erheblicher materieller Entbehrung betroffen, der Wert schwankte seit 2010 zwischen 4,7 und 5,6 Prozent.
Wie wirkt sich Armut auf die Gesundheit aus?
Sozial schlechter gestellte Menschen sind von fast allen Krankheiten häufiger betroffen. Nach Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts ist das Risiko für Krankheiten aller Art bei ärmeren Menschen zwei bis drei Mal höher. Gründe seien oft schlechtere Ernährung, weniger Bewegung und Vorsorge.