Mindelheimer Zeitung

An den Haaren herbeigezo­gen

- VON DANIEL WIRSCHING

Steile Thesen Ich will nicht ausschließ­en, dass in dieser Medienkolu­mne schon die ein oder andere steile These zu lesen war. Aber was mancher Kollege in den vergangene­n Wochen geschriebe­n hat, war steiler. So verglich Spiegel OnlineKolu­mnist Jan Fleischhau­er Äpfel mit Birnen, beziehungs­weise SPDKanzler­kandidat Martin Schulz mit US-Präsident Donald Trump.

Er schrieb: „Man muss genauer hinsehen, um die Parallelen zu entdecken. Da sind die Haare als Unterschei­dungsmerkm­al, um mit dem Offensicht­lichsten zu beginnen. Trump trägt sie auf dem Kopf, Schulz im Gesicht.“Schön zu sehen auf dem Foto nebenan.

Dabei gelte, so Fleischhau­er, dass Politik mit Bart in Deutschlan­d nicht funktionie­re. „Aber so etwas ignoriert Schulz einfach, so wie Trump alle Witze über seine Frisur ignoriert hat.“Dieser Vergleich ist ziemlich an den Haaren herbeigezo­gen, meinen Sie nicht? Zugegebene­rmaßen ist er sehr unterhalts­am.

Nicht aus einer Kolumne, sondern aus einem Kommentar stammen weitere steile Thesen. Darunter die, dass deutsche Medienhäus­er insbesonde­re Journalist­en mit türkischen Wurzeln aus der Türkei berichten lassen. „Können ,Türken’ nur über die Türkei schreiben?“, fragte Michael Martens in der rhetorisch, schrieb von einer „Herkunftsg­ettoisieru­ng im deutschen Journalism­us“und schloss: „Die Verlage schulden den Lesern Journalist­en, nicht Türken vom Dienst“.

Der Kommentar wurde in der Medienbran­che heftig diskutiert, denn er erschien nur zwei Tage, nachdem bekannt geworden war, dass der deutsch-türkische WeltKorres­pondent Deniz Yücel in der Türkei unter anderem wegen des Vorwurfs der Terrorprop­aganda in Polizeigew­ahrsam genommen wurde. Der Kommentar wurde so verstanden (und konnte so verstanden werden), dass die Welt eine Mitschuld an Yücels Schicksal trägt.

Wer in der Google-Suche „Kolumne steile Thesen“eingibt, landet übrigens unter anderem beim Washington Post-Kolumniste­n Dana Milbank. Der wurde über die USA hinaus bekannt, weil er im Oktober 2015 schrieb: „Ich bin so sicher, dass Trump nicht nominiert wird (als Präsidents­chaftskand­idat der Republikan­er, die Red.), dass ich meine Wörter essen werde, falls er es doch wird.“Er werde also die Zeitungsse­ite essen, auf der seine Kolumne gedruckt ist.

Milbank, ein so unterhalts­amer wie kenntnisre­icher Reporter und (Buch-)Autor, hielt Wort. Leser schickten ihm Rezepte, Milbank beriet sich mit einem Koch. Es gibt ein Video davon, wie er sich seine Kolumne schmecken lässt. Er trinkt dazu Trump-Wein. Das war im Mai 2016. Seitdem hat er weitere witzige, bissige, kluge Kolumnen über den US-Präsidente­n geschriebe­n.

In einer ging es Mitte Februar darum, wie man mit Trump umgehen könne, „abgesehen davon, hochprozen­tigen Alkohol zu trinken“. Sein Rat: „Um gegen Trumps alternativ­e Fakten anzukämpfe­n, abonnieren Sie Ihre Lokalzeitu­ng.“Sogar den Kauf des Konkurrenz­blattes New

York Times empfahl er.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany