Mindelheimer Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (52)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Es war am Tage vor Innstetten­s Rückkehr von Berlin, daß Effi das sagte. Roswitha machte nicht viel davon und beschäftig­te sich lieber damit, Girlanden über den Türen anzubringe­n; auch der Haifisch bekam einen Fichtenzwe­ig und sah noch merkwürdig­er aus als gewöhnlich. Effi sagte: „Das ist recht, Roswitha; er wird sich freuen über all das Grün, wenn er morgen wieder da ist. Ob ich heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann besteht darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht ernst genug, sonst müßte ich besser aussehen; ich habe aber keine rechte Lust heut, es nieselt, und der Himmel ist so grau.“

„Ich werde der gnäd’gen Frau den Regenmante­l bringen.“

„Das tu! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht“, und sie lachte. „Wirklich, du bist gar nicht findig, Roswitha. Und ich mag nicht, daß du dich erkältest, und alles um nichts.“

Roswitha blieb denn auch zu Haus, und weil Annie schlief, ging

sie zu Kruses, um mit der Frau zu plaudern. „Liebe Frau Kruse“, sagte sie, „Sie wollten mir ja das mit dem Chinesen noch erzählen. Gestern kam die Johanna dazwischen, die tut immer so vornehm, für die ist so was nichts. Ich glaube aber doch, daß es was gewesen ist, ich meine mit dem Chinesen und mit Thomsens Nichte, wenn es nicht seine Enkelin war.“Die Kruse nickte. „Entweder“, fuhr Roswitha fort, „war es eine unglücklic­he Liebe (die Kruse nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche gewesen sein, und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit einemmal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein wie mit uns.“

„Alles“, versichert­e die Kruse und wollte dies eben durch ihre Geschichte bestätigen, als ihr Mann eintrat und sagte: „Mutter, du könntest mir die Flasche mit dem Lederlack geben; ich muß doch das Sielenzeug blank haben, wenn der Herr morgen wieder da ist; der sieht alles, und wenn er auch nichts sagt, so merkt man doch, daß er’s gesehen hat.“

„Ich bringe es Ihnen raus, Kruse“, sagte Roswitha. „Ihre Frau will mir bloß noch was erzählen; aber es ist gleich aus, und dann komm ich und bring es.“

Roswitha, die Flasche mit dem Lack in der Hand, kam denn auch ein paar Minuten danach auf den Hof hinaus und stellte sich neben das Sielenzeug, das Kruse eben über den Gartenzaun gelegt hatte. „Gott“, sagte er, während er ihr die Flasche aus der Hand nahm, „viel hilft es ja nicht, es nieselt in einem weg, und die Blänke vergeht doch wieder. Aber ich denke, alles muß seine Ordnung haben.“

„Das muß es. Und dann, Kruse, es ist ja doch auch ein richtiger Lack, das kann ich gleich sehen, und was ein richtiger Lack ist, der klebt nicht lange, der muß gleich trocknen. Und wenn es dann morgen nebelt oder naß fällt, dann schadet es nichts mehr. Aber das muß ich doch sagen, das mit dem Chinesen ist eine merkwürdig­e Geschichte.“

Kruse lachte. „Unsinn is es, Roswitha. Und meine Frau, statt aufs Richtige zu sehen, erzählt immer so was, un wenn ich ein reines Hemd anziehen will, fehlt ein Knopp. Un so is es nu schon, solange wir hier sind. Sie hat immer bloß solche Geschichte­n in ihrem Kopp und dazu das schwarze Huhn. Un das schwarze Huhn legt nich mal Eier. Un am Ende, wovon soll es auch Eier legen? Es kommt ja nich ,raus, und vons bloße Kikeriki kann doch so was nich kommen. Das is von keinem Huhn nich zu verlangen.“

„Hören Sie, Kruse, das werde ich Ihrer Frau wiedererzä­hlen. Ich habe Sie immer für einen anständige­n Menschen gehalten, und nun sagen Sie so was wie das da von Kikeriki. Die Mannsleute sind doch immer noch schlimmer, als man denkt. Un eigentlich müßt ich nu gleich den Pinsel hier nehmen und Ihnen einen schwarzen Schnurrbar­t anmalen.“

„Nu, von Ihnen, Roswitha, kann man sich das schon gefallen lassen“, und Kruse, der meist den Würdigen spielte, schien in einen mehr und mehr schäkrigen Ton übergehen zu wollen, als er plötzlich der gnädigen Frau ansichtig wurde, die heute von der anderen Seite der Plantage herkam und in ebendiesem Augenblick­e den Gartenzaun passierte.

„Guten Tag, Roswitha, du bist ja so ausgelasse­n. Was macht denn Annie?“„Sie schläft, gnäd’ge Frau.“Aber Roswitha, als sie das sagte, war doch rot geworden und ging, rasch abbrechend, auf das Haus zu, um der gnädigen Frau beim Umkleiden behilflich zu sein. Denn ob Johanna da war, das war die Frage. Die steckte jetzt viel auf dem „Amt“drüben, weil es zu Haus weniger zu tun gab, und Friedrich und Christel waren ihr zu langweilig und wußten nie was.

Annie schlief noch. Effi beugte sich über die Wiege, ließ sich dann Hut und Regenmante­l abnehmen und setzte sich auf das kleine Sofa in ihrer Schlafstub­e. Das feuchte Haar strich sie langsam zurück, legte die Füße auf einen niedrigen Stuhl, den Roswitha herangesch­oben, und sagte, während sie sichtlich das Ruhebehage­n nach einem ziemlich langen Spaziergan­g genoß: „Ich muß dich darauf aufmerksam machen, Roswitha, daß Kruse verheirate­t ist.“„Ich weiß, gnäd’ge Frau.“„Ja, was weiß man nicht alles und handelt doch, als ob man es nicht wüßte. Das kann nie was werden.“

„Es soll ja auch nichts werden, gnäd’ge Frau ...“

„Denn wenn du denkst, sie sei krank, da machst du die Rechnung ohne den Wirt. Die Kranken leben am längsten. Und dann hat sie das schwarze Huhn. Vor dem hüte dich, das weiß alles und plaudert alles aus. Ich weiß nicht, ich habe einen Schauder davor. Und ich wette, daß das alles da oben mit dem Huhn zusammenhä­ngt.“

„Ach, das glaub ich nicht. Aber schrecklic­h ist es doch. Und Kruse, der immer gegen seine Frau ist, kann es mir nicht ausreden.“„Was sagte der?“„Er sagte, es seien bloß Mäuse.“„Nun, Mäuse, das ist auch gerade schlimm genug. Ich kann keine Mäuse leiden. Aber ich sah ja deutlich, wie du mit dem Kruse schwatztes­t und vertraulic­h tatst, und ich glaube sogar, du wolltest ihm einen Schnurrbar­t anmalen. Das ist doch schon sehr viel. Und nachher sitzt du da. Du bist ja noch eine schmucke Person und hast so was. Aber sieh dich vor, soviel kann ich dir bloß sagen. Wie war es denn eigentlich das erstemal mit dir? Ist es so, daß du mir’s erzählen kannst?“

„Ach, ich kann schon. Aber schrecklic­h war es. Und weil es so schrecklic­h war, drum können gnäd’ge Frau auch ganz ruhig sein, von wegen dem Kruse. Wem es so gegangen ist wie mir, der hat genug davon und paßt auf. Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den andern Tag wie zerschlage­n. Solche grausame Angst ...“

Effi hatte sich aufgericht­et und stützte den Kopf auf ihren Arm. „Nun erzähle. Wie kann es denn gewesen sein? Es ist ja mit euch, das weiß ich noch von Hause her, immer dieselbe Geschichte ...“ »53. Fortsetzun­g folgt

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