Im Namen des Volkes?
Justiz Gerichtsurteile stoßen häufig auf Kritik. Oberstaatsanwalt Christoph Ebert erklärt, warum die Strafe nicht der Vergeltung dient
Unterallgäu Fällt der Richter im Gerichtssaal ein Urteil, tut er das im Namen des Volkes. Doch manch einer fühlt sich schlecht vertreten: Sei es, weil er das Urteil zu hart oder – was wohl häufiger der Fall ist – zu milde findet. Jüngstes Beispiel ist der Fall eines 38-Jährigen, der sich wie berichtet zwei Jahre lang beinahe täglich an seiner Stieftochter vergangen hat und dafür zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Auf Facebook hagelte es dafür harsche Kritik – was Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Ebert durchaus verstehen kann, obwohl er in seinem Plädoyer genau diese Strafe gefordert hatte.
„Für die Bevölkerung ist die Bewährung ein Freispruch zweiter Klasse“, sagt er im Gespräch mit der
„Die Leute merken nicht, dass die Verurteilten ein DamoklesSchwert über sich haben.“Im konkreten Fall darf sich der 38-Jährige vier Jahre lang nichts zuschulden kommen lassen. Kommt er erneut mit dem Gesetz in Konflikt, kommt zur neuen Strafe die alte hinzu. Au- ßerdem beinhalte die Bewährungsstrafe meist auch eine Geldauflage, damit der Verurteilte die Strafe auch spürt.
Das würde er freilich auch mit einer Haftstrafe. Doch nach Eberts Auffassung widerspräche das dem modernen Strafrecht. Denn dem gehe es nicht mehr wie früher in erster Linie um Vergeltung, sondern um Prävention: Ein Mitglied der Gesellschaft soll dazu gebracht werden, sich künftig an die Regeln dieser Gesellschaft zu halten. Und das gelinge eben am besten, wenn der Verurteilte ein Teil von ihr bleibe. „Schwimmen lernt man auch am besten im Wasser und nicht mit Trockenübungen“, so Ebert. In seinen Augen ist die Haft deshalb das schlechteste Mittel der Ahndung.
Wäre es um Vergeltung gegangen, hätte der Angeklagte zu einer mindestens vierjährigen Haftstrafe verurteilt werden müssen, sagt er. Aber auch damit hätte das begangene Unrecht seiner Überzeugung nach nicht wiedergutgemacht werden können. Erfahrungsgemäß zähle für die Opfer nicht die Höhe der Strafe, sondern die Geschwindigkeit der Ahndung, die dokumentiert: Nicht du hast etwas Falsches gemacht, sondern dir ist Unrecht geschehen. Im Gerichtssaal bestätigten das Mädchen und seine Mutter diesen Eindruck: Als Richter Markus Veit die 15-Jährige fragte, welche Strafe sie sich für ihren Stiefvater wünscht, antwortete sie, dass sie sich darüber bislang keine Gedanken gemacht habe. Nur sehen wolle sie ihn nie mehr. Und ihre Mutter sagte: „Eine gerechte Strafe kann es dafür nicht geben.“
„Wir haben an diesem Tag nur ans Opfer gedacht“, beteuert Ebert. „Aber das sehen die Leute nicht.“So, wie viele nicht wissen, dass er mit einer höheren Strafe wohl kaum durchgekommen wäre, weil es einen Täter-Opfer-Ausgleich gab: Dieser besteht aus freiwillig gezahltem Schmerzensgeld und dem Geständnis, das dem Opfer die Aussage erspart. Bei Sexualdelikten ist es auch deshalb so wichtig, weil sie – wenn Aussage gegen Aussage steht und es keine Beweise gibt – kaum nachweisbar sind. Außerdem zeige es laut Ebert, dass der Täter seine Schuld einsieht. Gibt es einen solchen TäterOpfer-Ausgleich, verschiebt sich der Strafrahmen: Üblicherweise wird die Strafe um die Hälfte reduziert, also in diesem Fall von vier Jahren Haft auf zwei, die dann auch zur Bewährung ausgesetzt werden können.
Dass das in manchen Fällen schwer nachvollziehbar ist, streitet Ebert gar nicht ab. Er spricht von einem „großen Spannungsverhältnis“. Und er räumt ein, dass der Fokus vor Gesetz klar auf dem vermeintlichen Täter liegt, dem die Straftat zu beweisen ist: Im Prozess „dient“das Opfer dazu, den Täter zu überführen. Während dieser die Aussage verweigern kann, muss das Opfer – wenn es mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert ist – aussagen. „Das ist doch brutal“, findet Ebert. Lügt das Opfer, kann es dafür belangt werden, ein lügender Täter dagegen nicht. Die Waagschale von Justitia sei nicht im Gleichgewicht. Schon aufgrund der Prämisse „Im Zweifel für den Angeklagten“neige sie sich immer ein wenig zu dessen Gunsten. „Der Opferschutz wird immer größer, aber es ist nicht ausgeglichen“, sagt Ebert.