Ein Haus voller Geschichte(n)
Barockbau Das Ehepaar Doris und Vitus Reiter wohnt im 300 Jahre alten Pfarrhof in Klosterbeuren
Klosterbeuren In Zeiten niedriger Zinsen sind Immobilien gefragter denn je. In vielen Neubaugebieten entstehen schmucke Häuser mit gepflegten Vorgärten. Vitus und Doris Reiter möchten mit keinem der Besitzer von modernen Neubauten tauschen. Sie sind stolz auf ihr liebevoll hergerichtetes Heim im Klosterbeurer Pfarrhof.
Das im Jahr 1715 errichtete Bauwerk befindet sich bereits seit 100 Jahren und damit in dritter Generation im Besitz der Familie Reiter. „Unser Anwesen ist das einzige vollständig erhaltene Ensemble eines Pfarrhofs aus der Barockzeit in Bayern“, haben die Eheleute recherchiert.
„Der frühbarocke Bau orientiert sich an den venezianischen Villen von Andrea Palladio, natürlich eine Nummer schlichter“, erklärt Vitus Reiter. Der fast quadratische Grundriss ist unten und oben mit einem Mittelflur von Süd nach Nord und einem klassischen und repräsentativen Zeltdach ausgestattet. Der erste Stock, die sogenannte „Belle Etage“, war einst wohl dem Pfarrer vorbehalten und ist deshalb auch höher als das Erdgeschoss, in dem das Gesinde wohnte und wo die Wände auch immer etwas feucht waren, hat Reiter in Erfahrung gebracht.
Die 78 Zentimeter dicken Grundmauern belegen, dass bei der Errichtung des Gebäudes nicht an Material gespart wurde. „Als wir beim Toilettenneubau einen Teil abbrechen wollten, versagte der Bagger und wir mussten einen Presslufthammer benutzen“, erinnern sich die Reiters.
Das Ehepaar liebt das alte Pfarr- haus, das sie von Vater und Tante geerbt haben. Nach grundlegender und aufwendiger Renovierung sind sie im Jahr 1983 mit ihren beiden Töchtern Kathrin und Anna Lisa in ihr neues Heim eingezogen, das von einem idyllischen Garten umgeben ist. Einst war der Klosterbeurer Pfarrer der größte Grundbesitzer des Dorfes und betrieb einen Bauernhof, haben die Nachforschungen der Reiters ergeben. Als das einstige Franziskanerinnen-Kloster um 1900 längst aufgelöst war, wollte der damalige Pfarrer Michael Zanker näher bei der Kirche wohnen. Da der bauliche Zustand des Gemäuers beklagenswert war, errichtete die Pfarrei zwischen 1895 und 1899 einen neuen Pfarrhof. Das alte Gebäude diente einige Jahre als Notquartier für Landwirte, deren Höfe einem Brand zum Opfer gefallen waren. Als der Pfarrhof später zum Verkauf stand, gab es im Dorf mehrere interessierte Bauern. Doch die Summe von 6000 Goldmark – für Fremde sogar 7000 Goldmark – konnte niemand aufbringen. „Meine Großeltern, genauer gesagt meine Oma, erwarben das Gebäude schließlich im Jahr 1912“, erklärt Vitus Reiter. Bei der Renovierung des Pfarrhofs haben die Reiters darauf geachtet, möglichst viel im Originalzustand zu erhalten, zum Beispiel die massive Balkenkonstruktion des Dachstuhls und die Raumaufteilung.
Im Sommer 2016 haben die Reiters den 300. Geburtstag des historischen Bauwerks groß gefeiert. Vor zwei Jahren ist auch Tochter Kathrin mit ihrem Ehemann in das Obergeschoss ihres einstigen Elternhauses eingezogen. Mit ihr ist nun bereits die vierte Generation der Familie Reiter im Klosterbeurer Pfarrhof sesshaft.