Ein Leben für die Drogen
Justiz Seit er zwölf Jahre alt ist, probiert er alles, was es auf dem Markt gibt. Ein Gerichtsurteil soll für den 26-Jährigen eine letzte Chance sein
Unterallgäu Wie muss es sein, wenn sich alles nur noch um Drogen dreht? Wenn man den Tag nur mit der entsprechenden Menge Stoff und Alkohol schafft? Ein solches Leben war für Christian Hauberts
jahrelang Alltag. Nun sitzt er auf der Anklagebank im Amtsgericht Memmingen und berichtet von der Zeit vor der Inhaftierung. „Ich war nur noch am Geld beschaffen. Der ganze Tag war darauf ausgelegt“, sagt er. „Man ist am nächsten Tag aufgewacht: Geld war da, man weiß nicht woher, aber Hauptsache, es war da.“
Viele machen im Teenageralter die ersten Erfahrungen mit Alkohol. Nicht so der heute 26-Jährige. Er hatte ein trauriges Vorbild: seine Oma. Er begann zu trinken wie sie. Mit 12, 13 Jahren nahm Hauberts die ersten Drogen. Von da an probiert er alles aus, „was es auf dem Markt gibt“, wie der Gutachter vor Gericht erklärt. Seine Aufzählung ist lang und vermutlich nicht vollständig: Cannabis, Amphetamin, Legal Highs, Crystal Meth, Halluzinogene, Schnüffeln an Feuerzeugen und Deos, Opiate wie Heroin. Kokain nimmt Hauberts seltener – es ist zu teuer – , dafür Medikamente wie Antipsychotika. Dazu der ständige Begleiter Alkohol: erst eine Flasche Schnaps am Tag, dazu Weißwein. Dann bis zu drei Flaschen täglich, dazu Bier. Wenn er nichts trinkt, wird Christian Hauberts zittrig und unruhig. Übelkeit überkommt ihn.
Drei Mal beginnt er nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung, die er jedes Mal wieder abbricht. Er ist zwei Mal in Therapie und im Bezirkskrankenhaus untergebracht, aber seine Sucht bekommt er nicht in den Griff. Als er 2014 nach einer Therapie in die Obdachlosigkeit entlassen wird, versucht er, von den Drogen seine Finger zu lassen. Heimlich beginnt er wieder zu trinken, versteckt die Flaschen. Doch irgendwann verliert er komplett die Kontrolle. „Als ich drauf war, dachte ich: Jetzt ist auch schon alles egal.“Er weiß nicht mehr viel von dieser Zeit, kann sich nur daran erinnern, wie er morgens zum Discounter lief, sich Alkohol besorgt hat. „Danach verschwimmt alles.“Das Einzige, das ihm wichtig war, was ihm immer noch wichtig ist, ist seine Katze. Soziale Bindungen hat er kaum noch; Kontakt nur zur Mutter und zur Ex-Freundin.
Seit September sitzt der 26-Jährige in Haft. Zum ersten Mal in seinem Leben, obwohl es bereits neun Verfahren gegen ihn gab, sechs davon wegen Drogendelikten. Momentan ist er clean, der Entzug ist hart, der Suchtdruck groß. Er weiß, dass er noch länger im Gefängnis bleiben muss, weil die Bewährung einer zweijährigen Jugendstrafe mit großer Wahrscheinlichkeit widerrufen wird.
Hinzu kommt das aktuelle Verfahren. Christian Hauberts hat Drogen verkauft, auch an Minderjährige. Zwölf Käufer listet die Anklage auf – es sind nur diejenigen Fälle, die sich anhand der Whatsapp-Chats gut beweisen lassen: Der 26-Jährige hat alle möglichen Stoffe für seine Kunden besorgt und sie ihnen in seiner Wohnung oder an öffentlichen Treffpunkten wie dem Mindelheimer Marienplatz übergeben. Es sind keine großen Mengen und auch keine großen Summen. Zwischen zehn und 50 Euro bezahlen die Käufer für „Salat“(Marihuana), „Smarties“(Ecstasy) oder „Pepsi“(Amphetamin). „Es ging ihm nicht darum, viel Geld zu verdienen“, sagt sein Verteidiger Michael Bogdahn vor Gericht. Sein Mandant sei schwer suchtkrank, und er brauchte Geld für seine eigenen Drogen. Das Urteil, so Bogdahn, sei „die letzte Chance, die er nutzen will. Entweder er schafft es jetzt oder er schafft es nicht mehr.“
Christian Hauberts hofft darauf, am Ende der Strafe in den Maßregelvollzug zu kommen. Wer nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuchs verurteilt wird, verbüßt einen Teil der Strafe in einer Therapieeinrichtung. Um seine Reue zu zeigen und das Gerichtsverfahren abzukürzen, gibt der 26-Jährige den Drogenhandel zu. Er erspart dem Gericht somit, ihm die Taten mithilfe der 16 geladenen Zeugen nachzuweisen. Im Gegenzug wird der Strafrahmen beschränkt.
Das Schöffengericht verurteilt Christian Hauberts zu drei Jahren Haft. Einen Teil wird er in der Forensik verbringen und die Sucht aufarbeiten. „Wir haben einen Lebenslauf gehört, wie wir ihn nur selten haben“, sagt Richter Nicolai Braun bei der Urteilsverkündung. „Es ist ein extremer Fall, der verdeutlicht, was der Drogenkonsum aus einem Leben machen kann.“Er wendet sich an Hauberts. Sagt, dass ein steiniger Weg vor ihm liege. Ein Weg ohne Alternative: „Wenn Sie das so weiterlaufen lassen, kommen Sie immer wieder vor Gericht und ins Gefängnis.“
Drei Flaschen Schnaps am Tag, dazu Bier