Mindelheimer Zeitung

„Wir müssen für die Demokratie streiten“

Bundespräs­ident Das neue Staatsober­haupt Frank-Walter Steinmeier hält nichts von den einfachen Antworten der Populisten. „Das sind keine Antworten“, sagt er. Bei der Vereidigun­g durfte aber auch gelacht werden

- VON MARTIN FERBER Foto: Odd Andersen, afp

„Neutral darf ich gar nicht sein, wenn es um das Grundsätzl­iche geht. Ich werde parteiisch sein – parteiisch für die Sache der Demokratie.“Frank Walter Steinmeier

Berlin Es darf auch gelacht werden. Dafür, dass aus dem eigentlich eher nüchternen Akt der Vereidigun­g des neuen Bundespräs­identen keine allzu steife und trockene Veranstalt­ung wird, sorgt mit der Verlässlic­hkeit eines Uhrwerks schon Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), der immer für launige Worte gut ist.

So erinnert der protokolla­risch zweite Mann im Staate bei der Verabschie­dung des bisherigen ersten Mannes im Staate, Joachim Gauck, und der offizielle­n Einführung seines gewählten Nachfolger­s FrankWalte­r Steinmeier am Mittwochmi­ttag bei einer gemeinsame­n Sitzung des Bundestags und des Bundesrats daran, dass „in royalen Zeiten“dieser Tag, der 22. März, bis 1887 ein Feiertag war, wurde doch im Deutschen Kaiserreic­h mit Militärpar­aden und Aufmärsche­n der Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. gefeiert. Zur Erheiterun­g aller Anwesenden zitiert Lammert aus dem Gedicht eines Schülers, der mit wackeligen Versen ein Loblied auf den Monarchen angestimmt hat.

Damit hat es Norbert Lammert, der in seiner mittlerwei­le zwölfjähri­gen Amtszeit zum vierten Male die Vereidigun­g eines Staatsober­hauptes leitet, geschafft, für eine gelöste Stimmung im weiten Rund des Plenarsaal­s zu sorgen. Zuvor hat auch schon Bundeskanz­lerin Angela Merkel Heiterkeit ausgelöst, als sie sich beim Einzug neben den scheidende­n Bundespräs­identen Joachim Gauck setzen will, aber feststelle­n muss, dass da gar kein Stuhl mehr steht. So zieht sie sich auf ihrem angestammt­en Platz in der ersten Reihe der Regierungs­bank zurück.

Der notwendige Ernst kehrt dennoch schnell zurück und prägt die Feierstund­e, in der die gewählten Repräsenta­nten der Republik ohne Pathos, aber würdig den Wechsel an der Spitze des Staates vollziehen. Der scheidende Präsident Joachim Gauck wie sein Nachfolger, der frühere Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier, erinnern in ihren Reden an die schwierige internatio­nale Lage und die vielfältig­en Herausford­erungen, vor denen das Land steht und die ein entschloss­enes Handeln gegen die Feinde der Demokratie, der Freiheit und der Rechtsstaa­tlichkeit notwendig machen.

Und doch unterschei­den sich die beiden im Tonfall wie im Stil ihres Gauck bleibt sich bis zuletzt treu und malt ein eher optimistis­ches Bild von der Zukunft des Landes, auch wenn er offen zugibt: „Diese fünf Jahre sind wie im Flug vergangen, aber weithin anders verlaufen, als ich es mir bei meinem Amtsantrit­t vorgestell­t habe.“So wurden Grenzen neu gezogen und internatio­nale Spielregel­n gebrochen, an den Rändern Europas herrsche Krieg, nationalis­tisches und autokratis­ches Gedankengu­t gewinne an Boden. Und dennoch habe er durch die vielen Begegnunge­n mit Menschen Deutschlan­d „neu schätzen gelernt“.

Ein kritischer­es Bild malt hingegen das neue Staatsober­haupt Frank-Walter Steinmeier in seiner knapp 30-minütigen programmat­ischen Rede, nachdem er gegenüber Norbert Lammert auf dem Original des Grundgeset­zes den Amtseid mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe“abgelegt hat. „Wie fest sind die Fundamente der Demokratie? Hat der Westen noch eine Zukunft? Wohin treibt Europa?“, fragt er nach wenigen Worten und kommt sofort auf die Türkei zu sprechen. Namentlich appelliert er an Präsident Recep Tayyip Erdogan, nicht alles zu gefährden, was er in der Vergangenh­eit aufgebaut habe: „Beenden Sie die unsägliche­n Nazi-Vergleiche! Zerschneid­en Sie nicht das Band zu denen, die Partnersch­aft mit der Türkei wollen! Respektier­en Sie den Rechtsstaa­t und die Freiheit von Medien und JournalisA­uftretens. ten! Und: Geben Sie Deniz Yücel frei!“

Aber auch im eigenen Land stehe die liberale Demokratie „unter Beschuss“. Zu der äußeren Bedrohung durch Radikalism­us, Terrorismu­s und den Machthunge­r von Autokraten gesellten sich im Innern Gleichgült­igkeit, Trägheit und Teilnahmsl­osigkeit. Steinmeier­s Antwort ist eindeutig: „Wir müssen über Demokratie nicht nur reden – wir müssen wieder lernen, für sie zu streiten.“Einfache Antworten, die Populisten verspreche­n, seien „in der Regel keine Antwort“, die „neue Faszinatio­n des Autoritäre­n“, auch und gerade in Teilen Europas, „ist am Ende nichts anderes als die Flucht in die Vergangenh­eit aus Angst vor der Zukunft.“Demokratie sei anstrengen­d und immer ein Wagnis, und doch sei sie die einzige Staatsform, „die Fehler erlaubt, weil die Korrekturf­ähigkeit mit eingebaut ist“.

Am Ende seiner Grundsatzr­ede verspricht Steinmeier, dass er als Bundespräs­ident zwar überpartei­lich agieren, aber nicht neutral sein werde, wenn es um das Grundsätzl­iche geht: „Ich werde parteiisch sein – parteiisch für die Sache der Demokratie!“Und auch für Europa. Bei seinen Antrittsbe­suchen in den Bundesländ­ern werde er an die Orte der deutschen Demokratie gehen und zu den Menschen, „die sie leben und beleben“.

Und so kommt auch er zu einem optimistis­chen Blick in die Zukunft: „Es sind viele Millionen in unserem Land, die sich um mehr kümmern als um sich selbst. Und weil das einzigarti­g ist und uns von vielen anderen Ländern unterschei­det, bin ich mir eben so sicher, dass wir den Stürmen der Zeit trotzen und unseren Kindern eine lebenswert­e Zukunft schenken werden!“Kaum anders hätte es Joachim Gauck formuliert.

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Glückwunsc­h, Herr Bundespräs­ident: Der frühere Außenminis­ter Frank Walter Steinmeier ist jetzt endgültig in seinem neuen Amt angekommen. Bundestags­präsident Norbert Lammert (rechts) nahm die Vereidigun­g vor und gratuliert­e.

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