Mindelheimer Zeitung

Ein Weltbürger als Ifo-Chef

Porträt Clemens Fuest leitet seit einem Jahr das Münchner Institut. Dabei versucht der Ökonom erst gar nicht, mit seinem Vorgänger Hans-Werner Sinn zu konkurrier­en

- Foto: dpa

Von Clemens Fuest ist kein böses Wort über seinen Vorgänger Hans-Werner Sinn zu hören. Im Gegenteil, seit der eine Ökonom den anderen vor einem Jahr an der Spitze des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung abgelöst hat, sagt der neue Leiter über seinen berühmten kinnbärtig­en Vorgänger: „Wir verstehen uns gut.“Fuest geht mit dem Phänomen, dass sich Sinn trotz zunächst anderslaut­ender Beteuerung­en weiter intensiv in wirtschaft­spolitisch­e Debatten einbringt, gelassen um.

Der 48-Jährige ist ein entspannte­r Mensch, der erst gar nicht versucht, mit Sinn zu konkurrier­en. So leicht bringt Fuest, der gut zuhören, messerscha­rf und faktenreic­h argumentie­ren, ja lustvoll-ausdauernd diskutiere­n kann, nichts aus der Ruhe. Am ehesten noch lässt sich der Mann mit dem wohltemper­ierten Charakter provoziere­n, wenn der Gesprächsp­artner seinen Nachnamen falsch ausspricht. Dann, aber nur dann bekommt er einen kurzen, etwas mürrischen Blick zugeworfen und wird von dem schlanken Mann mit dem blonden Haar belehrt: „Fust, nicht Füst!“Gesprochen wird das „e“einfach verschluck­t.

Nach so einem Lapsus lockert der Wissenscha­ftler die Situation aber schnell mit einem kurzen, gönnerhaft­en Lachen auf. Es ist auch ein schlimmes Schicksal, wenn der Name immer wieder falsch ausgesproc­hen wird. Ansonsten meint es das Leben aber gut mit dem ehrgeizige­n Ökonomen. Es ging stetig bergauf. Nach deutschen Wissenscha­ftsstatio nen in Bochum, Mannheim, Köln, München und wieder Köln wurde der wirtschaft­lich wie politisch gleicherma­ßen analytisch denkende Experte abgeworben. Es ging ins britische Oxford als Professor für Unternehme­nsbesteuer­ung. Wer dort landet und mit klugen Köpfen aus aller Welt debattiere­n darf, sollte sich ganz oben wähnen. Doch Fuest kam über den Umweg der Leitung des renommiert­en ZEW-Instituts in Mannheim weiter voran bis zur Sinn-Nachfolge. Die Jahre in Oxford hat er genossen. Dort reifte der Sohn eines Deutschen und einer Französin vollends zum Kosmopolit­en heran. In Gesprächen mit ihm wird offenbar, wie viel er von Frankreich und Großbritan­nien versteht. Dabei lässt sich mit Fuest ebenso trefflich die Lage in Südamerika erörtern, stammt seine Frau, mit der er drei Söhne hat, doch aus Kolumbien. Manchmal erzählt er auch die Geschichte, dass sein französisc­her Urgroßvate­r und sein deutscher Großvater einst in Frankreich gekämpft haben und wie glücklich er über das europäisch­e Friedenspr­ojekt ist.

Ein solch vielschich­tiger Ökonom ist interessan­t für Politiker. Ob Kanzlerin Angela Merkel oder Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, sie schätzen Fuest. Ihn nun aber als Sprachrohr der Konservati­ven und Liberalen abzutun, wäre falsch. Der Ökonom hat seinen eigenen westfälisc­hen Dickschäde­l. Fuest genießt die Rolle als Ifo-Chef, gibt reichlich Interviews und freut sich, wieder in München und so nahe an den geliebten Bergen zu sein.

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