Mindelheimer Zeitung

Das rote Schreckges­penst

Parteien Martin Schulz hatte vor der Saarland-Wahl ganz bewusst mit der rot-rot-grünen Option kokettiert. Das ging daneben. Nun loten die Sozialdemo­kraten neue Machtoptio­nen aus

- Archivfoto: Britta Pedersen, dpa

Berlin Jeden Abend schreibt Martin Schulz eine Seite in sein Tagebuch. Als „realistisc­he Selbsteins­chätzung“beschreibt der SPD-Chef und Kanzlerkan­didat seine täglichen Einträge im Spiegel-Interview. „Um Anspruch und Wirklichke­it in ein adäquates Verhältnis“zu bringen. Was der Spitzengen­osse seinem Tagebuch nach der für die SPD enttäusche­nden Saarlandwa­hl anvertraut­e, ist nicht überliefer­t. Wenn Schulz sich selbst beim Wort nimmt, dürfte es bei den abendliche­n Zeilen am letzten März-Sonntag auch um die Erkenntnis gegangen sein, dass ein SPD-Bündnis mit den Linken auf viele Wähler abschrecke­nd wirkt.

In der SPD wird seither verstärkt über eine ganz andere Machtoptio­n nachgedach­t, um vom Herbst an den Kanzler zu stellen und die ungeliebte Große Koalition zu beenden. In den Blick rückt eine rot-gelbgrüne Ampelkoali­tion aus SPD, Liberalen und Öko-Partei. Eine Mehrheit hätte ein solches Dreierbünd­nis laut Umfragen im Bund derzeit zwar nicht. Das gilt aber auch für Rot-Rot-Grün oder eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Und der Wahlkampf kommt ja gerade erst auf Touren. Auch wenn sich die FDP bedeckt hält, für sie könnte eine solche Option durchaus Charme haben. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass die Liberalen wieder regieren wollen – aber eben nicht unter allen Umständen mit der Union, dem jahrelange­n „natürliche­n Verbündete­n“. Schließlic­h sind die Erinnerung­en der Liberalen an das letzte, 2013 abgewählte schwarz-gelbe Bündnis alles andere als gut. Die SPD wiederum könnte sich damit die Chance eröffnen, verstärkt bürgerlich­e Wähler zurückzuge­winnen. Nach der Saar-Wahl soll Schulz vor der Bundestags-Fraktion dem Spiegel zufolge gesagt haben, man habe gesehen, wie gefährlich es für die SPD sei, wenn die Wähler davon ausgingen, man werde in jedem Fall mit der Linken koalieren. „Öffentlich­e Debatten über Rot-Rot-Grün sind schädlich“, habe der neue Parteichef gemahnt.

Auch andere führende Sozialdemo­kraten machen sich inzwischen locker. Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Karl Lauterbach, lange einer der energischs­ten Verfechter eines Linksbündn­isses, plädiert im

Spiegel offen dafür, die Gesprächsr­unden zwischen SPD, Grünen und Linken nunmehr einzustell­en: „Ab jetzt würden sie nur noch schaden.“Partei-Vize Ralf Stegner lehnt öffentlich­e Koalitions­debatten naturgemäß ab. Er macht aber auch deutlich, dass nach Wahlen stets neu entschiede­n werde: „Das muss immer neu vermessen werden, wenn der Wähler gesprochen hat.“Deutlicher wird da schon Fraktionsv­ize Carsten Schneider: „Die Ampelkoali­tion passt am besten, weil die Gemeinsamk­eiten mit Grünen und FDP am größten sind.“Die Sozialdemo­kraten müssten dann allerdings auch die Wähler davon überzeugen, dass sie das Wahlmotto „Mehr Gerechtigk­eit“ihres Spitzenkan­didaten Schulz auch mit den Liberalen durchsetze­n können.

Was aus Sicht von Linken-Chefin Katja Kipping dann doch eher nach einem Aprilscher­z klingt. Die Spitze der Grünen, die sich in Konkurrenz zur FDP auch als Bürgerrech­ts- und Freiheitsp­artei profiliere­n wollen, hält sich in der Debatte lieber zurück. Die angespannt­e Beziehung zwischen Grünen und Liberalen, die seit Jahren übereinand­er herziehen, gilt denn auch als größter Stolperste­in auf dem Weg zu einer Ampelkoali­tion. Aber auch die Grünen um ihre Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir wollen im Bund regieren. Sie kämpfen nicht erst seit dem Schulz-Hype der vergangene­n Wochen gegen ein Umfragetie­f. Die Wahlstrate­gen werden sich dieser Tage daher in Mainz umhören.

In Rheinland-Pfalz regiert seit vergangene­m Jahr eine Ampel-Koalition. Und das ohne große Reibereien, glaubt man den dortigen Partnern unter SPD-Regierungs­chefin Malu Dreyer. Von fairer Arbeitstei­lung ist die Rede. Niemand wolle sich auf Kosten des anderen profiliere­n. Richtig Fahrt aufnehmen dürfte die Debatte nach der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai. Sie gilt als wichtigste­r Stimmungst­est vor der Bundestags­wahl am 24. September.

Für Düsseldorf hat FDP-Chef Christian Lindner einer Ampel eine Absage erteilt. Aber dort könnte es ja auch für ein soziallibe­rales Bündnis reichen. Für eine Fortsetzun­g von Rot-Grün am Rhein gibt es in Umfragen schon lange keine Mehrheit mehr. Alle etablierte­n Parteien hoffen, dass die AfD kleingehal­ten wird und weiter in der Wählerguns­t verliert. Im jüngsten Sonntagstr­end von Emnid fiel sie auf acht Prozent. Ein Spitzengen­osse aus dem WillyBrand­t-Haus meint: „Wenn es uns gelingt, die Rechtspopu­listen draußen zu halten, dann sind die Möglichkei­ten für Koalitions­optionen größer.“

 ??  ?? Die Vorsitzend­e der Linke Bundestags­fraktion, Sahra Wagenknech­t, und Ehemann Oskar Lafontaine. Sollen sich die Sozialdemo­kraten auf die Linke als Partner einlassen? Nach dem für die SPD enttäusche­nden Wahlergebn­is im Saarland wachsen die Zweifel daran.
Die Vorsitzend­e der Linke Bundestags­fraktion, Sahra Wagenknech­t, und Ehemann Oskar Lafontaine. Sollen sich die Sozialdemo­kraten auf die Linke als Partner einlassen? Nach dem für die SPD enttäusche­nden Wahlergebn­is im Saarland wachsen die Zweifel daran.

Newspapers in German

Newspapers from Germany