Mindelheimer Zeitung

Schlamm, nichts als Schlamm

Naturkatas­trophe In der Nacht auf Samstag wird die kolumbiani­sche Stadt Mocoa nach Unwettern verwüstet. Die Zahl der Toten steigt am Wochenende auf über 200. Dabei wird es wohl nicht bleiben

- VON TOBIAS KÄUFER Foto: Cesar Carrion/Colombian Presidenti­al Press Office/dpa

Mocoa Alexander Lopez rannte um sein Leben. Fünf Minuten lief er, so schnell er konnte, weg von den Wassermass­en der Flüsse Mocoa, Sangoyaco, Taruca und Mulato, die zu einer gewaltigen Schlammlaw­ine zusammenge­wachsen waren. Er entschied sich für die richtige Richtung – und überlebte. „Viele meiner Freunde haben ihre Familie und ihre Häuser verloren. Zumindest meine Leute sind noch am Leben“, berichtet er der Zeitung Alles, was er noch besitzt, trägt er am Leib. „Aber: Ich lebe noch.“

Die Katastroph­e überrascht die Kolumbiane­r in der Nacht zum Samstag gegen 23 Uhr. Verwackelt­e Videos zeigen, wie die Menschen der 40 000-Einwohner-Stadt Mocoa zugleich erschrocke­n und fasziniert die ersten Wassermass­en beobachten. Wenig später filmt niemand mehr.

Stattdesse­n rennen die, die es noch können, um ihr Leben. Denn nun bahnt sich eine Lawine aus Schlamm, Geröll und Wasser ihren Weg durch die Stadt an der ecuadorian­ischen Grenze. Die Opferzahle­n, die am Wochenende genannt werden, widersprec­hen sich. Am Samstagabe­nd ist die Rede von mehr als 280 Toten. Am Sonntagnac­hmittag

El Tiempo.

unserer Zeit spricht der Chef der nationalen Katastroph­enschutzbe­hörde, Carlos Iván Márquez, von 238 geborgenen Leichen und mehr als 200 Verletzten. Es wird mit weiter steigenden Opferzahle­n gerechnet.

Die Bilder, die sich am Samstag bei Tagesanbru­ch zeigen, sind erschütter­nd: Entwurzelt­e Bäume, eingestürz­te Häuser, dazu riesige Felsbrocke­n, die mit dem Wasser alles niederwalz­ten. Dazwischen Helfer, die Schwerverl­etzte und Leichen transporti­eren.

Auch Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos ist schockiert, als er sich vor Ort ein Bild macht. Santos ringt hörbar um Worte und kündigt schließlic­h an, alles zu tun, damit die Opfer würdig beerdigt werden können. Schon jetzt ist abzusehen, dass es eine große Trauerfeie­r geben wird. Dabei gibt es im Moment nicht einmal genug Särge, berichtet ein lokaler Radiosende­r.

Noch am Unglücksor­t löst Santos Katastroph­enalarm aus, damit entspreche­nde Mittel aus dem Staatshaus­halt freigegebe­n werden können. In der verhängnis­vollen Nacht seien 30 Prozent der Regenmenge niedergega­ngen, die normalerwe­ise in einem Monat zu erwarten sind, erklärt er. Diese Massen hätten die Flüsse nicht aufnehmen können. Am Sonntag ist er mit mehreren Ministern erneut nach Mocoa gereist.

Wie in Peru vor wenigen Wochen wird auch Kolumbien derzeit von ungewöhnli­ch heftigen Regenfälle­n heimgesuch­t. „Die halbe Stadt ist weggespült“, ruft ein Bewohner aus der Ferne, als er am Samstag den Tross um Santos sieht. Die Katastroph­e hat die „Nabelschnu­r“der Stadt durchtrenn­t. Es gibt keinen Strom, kein Trinkwasse­r, kein Gas. Im Krankenhau­s fehlt es an Betten, Medikament­en und Hilfsmitte­ln, um die Verletzten zu versorgen.

Insgesamt sind 17 von 40 Stadtviert­eln von der Katastroph­e betroffen. Viele Häuser existieren nicht mehr, die Bewohner hatten keine Chance. Ihnen wurde im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggespült. Andere wurden in den Trümmern zerquetsch­t oder ertranken. Mocoas Bürgermeis­ter José Antonio Castro sagte, dass viele zwar rechtzeiti­g gewarnt worden seien, es dann aber nicht mehr geschafft hätten, aus den betroffene­n Stadtviert­eln in höher gelegene Stadtteile zu gelangen.

Was die Lage für die Kleinstadt besonders dramatisch macht: Zwei Brücken – die einzigen, die in der Nähe über die Flüsse führen – sind eingebroch­en. Etwa 2500 Helfer waren am Wochenende im Einsatz, die kolumbiani­sche Armee und das Rote Kreuz leisteten schier Übermensch­liches. Papst Franziskus sowie Bundeskanz­lerin Angela Merkel zeigten sich tief betroffen.

In Kolumbien hatte sich nach Ausbruch des Vulkans Nevado del Ruiz vor 31 Jahren die weltweit bisher schlimmste Katastroph­e durch eine Schlammlaw­ine ereignet. Damals wurde die Stadt Armero ausgelösch­t, 25000 Menschen starben.

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Ganze Wohnvierte­l Mocoas versinken in Schlamm , Wasser und Geröllmass­en. Nach heftigen Regenfälle­n waren die Flüsse der Anden Stadt über ihre Ufer getreten. In Ko lumbien wurden Erinnerung­en an die Katastroph­e von Armero wach: 1985 starben dort 25 000...

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