Wer schützt die Kopten in Ägypten?
Hintergrund Bei einem Doppelanschlag auf Kirchgänger sterben 44 Menschen. Eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt ist dem islamistischen Terror, aber auch staatlicher Willkür ausgeliefert
Augsburg Und wieder stehen massive Holzsärge dicht an dicht, auf die sich weinende Angehörige stützen. So war es schon im Dezember 2016, als in Kairo 29 Kopten bei einem Anschlag auf eine Kirche ermordet wurden. So geschah es immer wieder in den letzten Jahren. In den Gesichtern der Trauernden spiegelte sich gestern eher Fassungslosigkeit und Verzweiflung als Wut. 44 Menschen starben bei einem Doppelanschlag in einer Kirche in der im Landesinneren gelegenen Stadt Tanta und auf dem Platz vor der Kathedrale der Hafenstadt Alexandria.
Nachdem sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) – wie schon Ende 2016 – zu den Bluttaten bekannt hatte, reagierte Staatschef Abdel Fattah al-Sisi jetzt mit der Ausrufung des Ausnahmezustands. Gestern Abend teilte das Innenministerium auch mit, dass im Süden des Landes sieben mutmaßliche ISSympathisanten mit Attentatsplänen gegen koptische Christen (zu einem nicht näher erläuterten Zeitpunkt) von ägyptischen Sicherheitskräften getötet worden seien.
Viele der – je nach Quelle – sieben bis neun Millionen Christen in dem Land mit seinen knapp 90 Millionen Einwohnern fühlen sich allerdings emotional bereits seit Jahren im Ausnahmezustand: „Nach wie vor werden die Kopten nicht nur durch Terror von islamistischen Extremisten bedroht, sondern auch im Alltag vom Staat diskriminiert. Viele – gerade junge Christen – glauben nicht mehr an eine Zukunft in Ägypten“, sagt Ulrich Delius, Afrika-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker unserer Zeitung. Dabei schöpften die Kopten, wie auch die kleineren evangelischen, katholischen und orthodoxen Religionsgemeinschaften 2013 endlich wieder Hoffnung, nachdem ein wahrer Albtraum zu Ende zu gehen schien.
Der „Arabische Frühling“, die Revolution gegen den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak, markierte 2011 den Anfang vom Ende relativer Sicherheit. Denn während junge, liberal gesinnte Ägypter in den Großstädten endlich das verkrustete Regime abschütteln wollten, brach mit der Autorität der Regierung auch der Schutz für die Minderheiten im Lande zusammen.
Aus der Präsidentenwahl im Juni 2012 ging Mohammed Mursi von der islamistischen Muslimbruderschaft als Sieger hervor. Doch gut ein Jahr später wurde Mursi entmachtet. Vor und nach dem Militärputsch kam es zu neuer Gewalt gegen die Christen. Die Attacken stellten brutale Übergriffe, zu denen es schon in den 90er Jahren gekommen war, in den Schatten. Fanatisierte Mursi-Anhänger töteten oder entführten Kopten und brandschatzten Gotteshäuser. Sie machten die Christen, deren hohe Kirchenvertreter schon unter dem legendären Anwar al-Sadat und unter Mubarak als Stützen des Staates galten, für die Entmachtung Mursis mitverantwortlich. „Für die Muslimbrüder war das eine Steilvorlage, um antichristliche Ressentiments zu befeuern“, sagt Delius. „Das ist eine höchst problematische Konstruktion, die dazu führte, dass die Kopten am Ende wieder zwischen allen Stühlen saßen.“
Wie auch jetzt wieder: Von Anfang an stellte sich der koptische Papst Tawadros II. demonstrativ hinter Sisi. Die Hoffnung vieler Christen war, dass der Generaloberst – wie einst Mubarak – den Schutz der Christen übernehmen würde. „Doch für den im Westen umstrittenen Präsidenten ist es eher wichtig, nach außen als Beschützer der Christen wahrgenommen zu werden.“Schließlich ist Sisis Ruf nach Verhaftungswellen und Folter gegen Mursi-Anhänger, aber auch demokratisch gesinnte Aktivisten angeschlagen.
Schnell zeigte sich, dass Sisi sein Versprechen nicht einlöste, endlich eine tatsächliche Gleichberechtigung für Christen durchzusetzen. Nach wie vor werden Übergriffe gegen Christen oft weder verfolgt noch von den Gerichten geahndet. Alarmierend ist, dass der IS, der seit langem Polizei und Armee auf der Sinai-Halbinsel attackiert, nun auch mit Terror in die Großstädte zieht. Der ägyptischen Armee gelang es nicht, den IS aus dem Sinai zu vertreiben. „Ein effektiver Schutz der Kirchen im Land ist ebenso wenig zu erwarten“, so Delius.
Es ist diese niederschmetternde Situation, die junge Kopten daran zweifeln lässt, ob es richtig ist, dass sich die Kirchen so eng an die Staatsmacht binden. Immer mehr Christen wollen Ägypten den Rücken kehren. Zehntausende haben das Land in Richtung USA oder Europa verlassen. Doch es ist äußerst schwierig und kostspielig, in westliche Länder zu gelangen – zumal es dort kaum Chance auf Asyl gibt. Delius schätzt, dass in Deutschland dennoch bis zu 12000 „untereinander gut vernetzte“Kopten leben.
Das Gros der Älteren will die christliche Siedlungstradition nicht aufgeben. Schon Ende des dritten Jahrhunderts war die Mehrheit der Ägypter zum Christentum übergetreten. Die koptische Kirche ist eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt. Die Arabisierung und Islamisierung setzte erst im siebenten Jahrhundert ein. So sehen sich viele Kopten als „Ureinwohner“. Ein Hoffnungsschimmer könnte der Besuch von Papst Franziskus am 28./29. April sein. Denn die Kopten wissen aus Erfahrung: Weltweite Aufmerksamkeit für ihr Schicksal ist in bitteren Zeiten der einzige Schutz, der ihnen bleibt.
Effektiven Schutz für Christen scheint es nicht zu geben