„Wilder Westen“auf der Autobahn
Justiz Ein 20-Jähriger verursacht auf der A 96 beinahe einen schweren Unfall und zielt dann mit einer Waffe auf die Insassen des anderen Autos. Vor Gericht spricht alles gegen ihn
Die Opfer fuhren sofort zur Polizei
Stetten Drängeleien, Missverständnisse und Beinahe-Unfälle sind Alltag auf deutschen Autobahnen. Dass jemand allerdings nach einer brenzligen Situation mit einer Waffe auf einen anderen Autofahrer zielt, nicht. Umso deutlicher fielen das Urteil und die Worte von Jugendrichter Markus Veit aus, die er am Ende der Verhandlung an den 20-jährigen Angeklagten richtete: „Eine Schreckschusspistole im Straßenverkehr – ja, spinn ich? Das ist ja unglaublich!“
Der Grund für die Verhandlung am Memminger Amtsgericht war ein Vorfall an einem Samstagnachmittag im November vergangenen Jahres. Der Angeklagte war mit seinem Mercedes S-Klasse auf der A 96 in Richtung Bodensee unterwegs, wo er lebt. Drei in der Region lebende Rumänen fuhren ebenfalls von München kommend auf der Autobahn. Bei Stetten trafen beide Wagen aufeinander – wie, darüber gibt es zwei Versionen.
Der 20-jährige Angeklagte, der ohne Verteidiger vor Gericht erschienen war, erklärte, dass er mit seinem Mercedes bereits mehrere Minuten auf der linken Spur unterwegs gewesen sei, als sich von hinten ein schnellerer BMW näherte und ihm aufblendete. Er sei zur Seite gefahren und als der BMW auf gleicher Höhe gewesen sei, hätten dessen Insassen „herumgefuchtelt“. „Ich hab’ Angst bekommen und ihnen meine Schreckschusswaffe gezeigt“, erklärte der 20-Jährige.
Die drei Rumänen, die in dem BMW saßen, erzählten vor Gericht eine andere Version des Novembernachmittags. Sie seien gerade mit mindestens 200 Kilometern in der Stunde auf der Überholspur gefahren, als der Angeklagte kurz vor ihnen auf einmal von der rechten auf die linke Spur gewechselt sei. „Ich denke, er hat nicht gesehen, mit welcher Geschwindigkeit ich herangekommen bin“, sagte der 31-jährige Fahrer des BMW vor Gericht. Einen Blinker hatten weder er noch seine beiden Mitfahrer gesehen. Dann ging alles ganz schnell: Der 31-Jährige trat mit voller Wucht auf die Bremse und weil diese nicht ausreichte, zog er zusätzlich noch die Handbremse. Nur durch diese Vollbremsung habe er einen schweren Unfall verhindern können – das bestätigten die Insassen seines Autos.
Anschließend kam es offensichtlich zu mehreren Spurwechseln der beiden Wagen und als beide auf gleicher Höhe waren, machten die drei Männer dem 20-Jährigen Zeichen. „Was machst du? Willst du uns umbringen?“, wollten sie ihm bedeuten, erklärte der 31-jährige Fahrer. Daraufhin habe der 20-Jährige etwas herausgeholt, das die Beifahrer des Mannes eindeutig als Waffe identifizierten. „Er hat die Pistole herausgeholt und getan, als ob er auf uns zielt“, sagte einer der Männer. „Ich habe mich sehr erschreckt.“
Die Rumänen schafften es noch, das Kennzeichen des Mercedes zu fotografieren, riefen sofort die Polizei an und fuhren zur Autobahnpolizei in Memmingen, um ihre Zeugenaussagen abzugeben. Die Fahndung begann und noch als die drei Männer vernommen wurden, hielten Polizisten den 20-Jährigen bei der Anschlussstelle Neuravensburg auf. Mit im Auto: eine Schreckschusspistole mit vier Patronen, nicht durchgeladen.
Jugendrichter Markus Veit hatte keinen Zweifel an der Aussage der drei Männer, die es auch in der Verhandlung nicht darauf anlegten, dem Angeklagten zu schaden. Gegen den 20-Jährigen sprachen zudem seine Eintragungen im Bundeszentralregister: Vier Mal hatte die Polizei bereits gegen ihn ermittelt, zwei Mal wegen Drogen, einmal wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz und einmal wegen unerlaubtem Umgang mit gefährlichen Stoffen. Alle Verfahren wurden eingestellt. „Vier Sachen haben die Ihnen eingestellt, das würde bei uns nicht passieren“, sagte Veit über das damals zuständige Amtsgericht.
Der Jugendrichter setzte seine Worte kurze Zeit später in die Tat um und verurteilte den 20-Jährigen wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und Bedrohung. Seine „Riesen-Karre“und „dann auch noch die Knarre im Auto“– das alles sei kindisches Imponiergehabe, urteilte Veit. „Wir sind hier nicht im Wilden Westen.“
Nach dem Beinahe-Unfall habe der junge Mann „das Falscheste gemacht, was man machen kann: mit der Pistole gezielt“, fand Veit. Entsprechend fiel sein Urteil aus: Der 20-jährige Elektriker muss 700 Euro an den Förderverein der LudwigAurbacher-Mittelschule Türkheim zahlen, seine Schreckschusspistole samt Munition abgeben und zwei Wochen in Arrest. Weitaus schlimmer dürfte für den Mercedes-Fahrer aber die Strafe sein, die sofort in Kraft trat: Noch im Gerichtssaal musste er seinen Führerschein abgeben und bekommt ihn auch in den nächsten zwölf Monaten nicht wieder.