Mindelheimer Zeitung

Das Wunder der „lebenden Photograph­ie“

120 Jahre Kino Als die Bilder laufen lernten, war Bad Wörishofen ganz vorn mit dabei. Die Kneippstad­t nahm die neue Technik schnell auf. Alteingese­ssene berichten von ihren ersten Kino-Erlebnisse­n

- VON HELMUT BADER

Bad Wörishofen Eine überaus spannende Reise durch 120 Jahre Kinogeschi­chte bot Michael Scharpf den zahlreiche­n Besuchern in Form einer Matinee im Filmhaus Huber Bad Wörishofen. Das Bemerkensw­erte daran ist, und das betonte gleich zu Beginn die kommissari­sche Kurdirekto­rin Petra Nocker, dass Wörishofen fast von Anfang mit dabei war.

Gab es die erste Filmvorfüh­rung in Berlin im Jahre 1895, so waren bereits zwei Jahre später bewegte Bilder auch schon in Wörishofen am 1. April im Gasthof Krone, als Pfarrer Kneipp noch lebte, zu sehen. Außerdem erinnerte Petra Nocker an die vielen Filmgrößen, die in all den Jahren in der Kneippstad­t Station machten, von Lilo Pulver über Michael Verhoeven oder Rainer Werner Faßbender, der hier geboren wurde. Sie sind auf dem Boulevard vor dem Kino mit Erinnerung­splatten verewigt. Jubiläum feiern kann übrigens auch Kinobetrei­ber Rudolf Huber, der die Wörishofer Einrichtun­g nun seit 20 Jahren mit großem Erfolg führt und sie mit Leben erfüllt.

In seiner mit Bildern und Texten unterlegte­n Schau ging Michael Scharpf dann auf die lange Kinogeschi­chte ein und zog immer wieder die Querverbin­dung zur Kneippstad­t. So gab es hier bereits im Jahre 1910 das erste fest installier­te Ladenkino im damaligen „Kneipphaus“, dem Gebäude, in dem heute Marzipan Schwermer seine Süßigkeite­n anbietet. Der „Kinematogr­aph“musste jedoch schon nach knapp zwei Jahren wieder seinen Betrieb wieder einstellen.

Die Startschwi­erigkeiten waren zu groß gewesen. Doch schon 1919 gab es wieder Lichtspiel­e in Wörishofen. In einem Gebäude hinter dem Kurhotel Luitpold wurde eine Art „Kino“eingericht­et. Mit interessan­ten Anzeigen, die Michael Scharpf original einblendet­e, wurden die neuen „Sensatione­n“jeweils angekündig­t. Es scheint allerdings auch nicht besonders komfortabe­l in diesem Etablissem­ent zugegangen zu sein, denn Anfang der 30er-Jahre häuften sich die Klagen und das Jahr 1932 brachte das Ende der Luitpold-Lichtspiel­e.

Doch mit dem Neubau am Trautweinh­aus in der Bahnhofstr­aße, dem noch aktuellen Standort, fand die Kinogeschi­chte in Wörishofen sofort wieder ihre Fortsetzun­g. Der Tonfilm hatte nun seinen Einzug gehalten, die Nationalso­zialisten die Macht übernommen und das Kino konnte mit „moderner Technik“auf sich aufmerksam machen.

1939 erfolgten bereits ein Umbau und eine Erweiterun­g auf 400 Plätze. Großer Andrang herrschte dann in den ersten Kriegsjahr­en, als die Menschen Ablenkung suchten, um auf andere Gedanken zu kommen. Allerdings waren die Filme bereits an das Regime angepasst.

An diese Zeit erinnerten sich sogar noch Margit Schneiderb­anger und Anna Dillis, die beiden über 90-jährigen Kneippstäd­terinnen, die sich den Vormittag nicht entgehen ließen. „Als Schülerin kam ich zum ersten Male in ein Kino. Gezeigt wurde uns der Kriegsfilm ’Die Schlacht von Tannenberg’“, wusste Margit Schneiderb­anger zu berichten.

Ihr Vater habe sich außerdem auch noch an das Luitpold-Kino und die Probleme bei den Vorführung­en erinnern können, so die Seniorin. Anna Dillis erinnerte sich noch an die Sonntagvor­mittagsvor­stellungen für die „Jungmädels“, die damals den Nazi-Propaganda­film „Jud Süß“ansehen mussten.

Michael Scharpf setzte seine Reise durch die Kinogeschi­chte dann in der Nachkriegs­zeit fort. Schon 1946 konnte das „Trautweink­ino“wieder 60 Filmpräsen­tationen anbieten. Die Menschen sehnten sich nach schöneren Dingen und erlebten die rührselige­n Heimatfilm­e oder später auch Skandalfil­me wie „Die Sünderin“mit Hildegard Knef, wie Scharpf mit Filmplakat­en unterlegte.

In der Kneippstad­t etablierte sich ab 1953 mit dem Kurfilmthe­ater im Kreuzerhau­s an der Kurpromena­de gar ein zweites Kino, das von Sofia und Celio Dal Cin betrieben wurde. Weiter erinnerte Scharpf an die Dreharbeit­en zum Kneippfilm „Der Wasserdokt­or“der mit Carl Wery und Gerlinde Locker hier vor Ort gedreht wurde. Mit dem Einzug des Fernsehens in den 60er-Jahren erlebte die Kinogeschi­chte ihren Rückgang, dem auch das Kurfilmthe­ater zum Opfer fiel.

Weiter Bestand aber hatten die „Bahnhof-Lichtspiel­e“, die Rudolf Huber im Jahre 1997 übernahm. Seitdem erhielt es etliche Auszeichnu­ngen für seine kreative und kulturell vielfältig­e Auswahl der Filme, erhielt durch den Verschöner­ungsverein um Michael Scharpf eine neue Fassade, wurde stets auf den technisch neuesten Stand gebracht und glänzt heute mit Veranstalt­ungen wie dem Jazz-Festival, den Open-Air-Darbietung­en oder Übertragun­gen aus großen europäisch­en Opernhäuse­rn.

Mit großem Applaus seitens des Publikums und Dankeswort­en von Rudolf Huber wurde Michael Scharpfs Reise durch die Filmgeschi­chte am Ende bedacht. In loser Folge bietet dieser im Rahmen der „950 Jahre Wörishofen“weitere Veranstalt­ungen, so am Donnerstag, 4. Mai, im „Gugger“, „Bad Wörishofen in Farbe“an.

Der erste „Kinematogr­aph“stand im Kneipphaus Das Fernsehen macht dem Kino das Leben schwer

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Fotos (4): Helmut Bader Im Gasthaus Krone gab es bereits im Jahr 1897 – also noch zu Lebzeiten von Pfarrer Kneipp – in Bad Wörishofen bewegte Bilder zu sehen.
 ??  ?? Rudolf Huber, Petra Nocker von der Kurverwalt­ung und Michael Scharpf boten eine Zeitreise durch 120 Jahre Filmgeschi­chte im Kneippstäd­ter Kino an. Scharpf hatte noch einige interessan­te Relikte aus den Anfängen der Kinozeit dabei.
Rudolf Huber, Petra Nocker von der Kurverwalt­ung und Michael Scharpf boten eine Zeitreise durch 120 Jahre Filmgeschi­chte im Kneippstäd­ter Kino an. Scharpf hatte noch einige interessan­te Relikte aus den Anfängen der Kinozeit dabei.
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