Den Eltern zuliebe mit Helm
Fußball Wenn an Ostern Fußball gespielt wird, geht es meist um Siege und Punkte. Dabei gibt es auch Akteure, die eine eigene, sportliche Auferstehungsgeschichte zu erzählen haben
Oberegg An den Zusammenprall selbst kann sich Tobias Linder nicht mehr erinnern. Der Torhüter des SV Oberegg wachte im Herbst 2011 erst wieder auf der Intensivstation des Bundeswehrkrankenhauses in Ulm auf. Seine erste Frage war: „Wie haben wir gespielt?“Die Hauptsorge seiner Familie und seiner Teamkollegen galt dagegen seiner Gesundheit. Denn Linder wurde an jenem 30. Oktober 2011 im Heimspiel gegen den FC Buchloe von einem Buchloer Stürmer so schwer am Kopf getroffen, dass er einen Schädelbruch samt Hirnblutung erlitt.
Jetzt, über fünf Jahre später, merkt man dem 26-Jährigen nichts mehr davon an. Einzig sein Erscheinungsbild auf dem Platz hat sich seitdem etwas gewandelt: Er trägt bei Spielen einen Rugbyhelm. So, wie es der tschechische Nationaltorhüter Petr Cech seit Jahren tut. Auch Cech hatte sich 2006 in einem Premier-League-Spiel einen Schädelbasisbruch zugezogen und trägt seitdem einen solchen Helm. Obwohl er es längst nicht mehr müsste, doch mittlerweile ist es Cechs Markenzeichen geworden – und das ist in der Welt des Profifußballs nicht unerheblich.
Aus gesundheitlichen Gründen müsste auch Tobias Linder den Helm nicht tragen. „Den trage ich nur wegen meiner Mutter. Sie hat gesagt: ’Zieh so eine Cech-Kappe an, wenn du wieder spielen willst.’“Da gab es keine Diskussion. Zumal für Tobias Linder von Anfang an klar war, dass er wieder spielen wollte. „Im Krankenhaus war sogar noch die Vorrunde mein Ziel“, sagt Linder. „Aber da war ich auch von Schmerzmitteln zugedröhnt“, sagt er und lacht. Dennoch: Drei Monate später nach diesem Unfall auf dem Sportplatz ist er im Januar wieder zum Joggen gegangen. Immer mit Leuten zusammen, nie allein. Man weiß ja nie. „Meistens war ich mit meiner Schwester unterwegs.“Am Ende der Saison stand er dann wieder im Tor, zunächst in der Reservemannschaft, dann in der „Ersten“.
Ob er seitdem vorsichtiger agiert? Sich nicht mehr in jedes Getümmel im Strafraum wirft? „Nein, in solchen Situationen überlegt man nicht extra, wie man an eine Sache herangeht. Das geht zu schnell“, sagt er. Sicher, die Mannschaftskollegen waren anfangs im Training schon vorsichtig und sind nicht immer voll in die Zweikämpfe mit dem Torhüter gegangen. Aber große Sorgen um ihren Keeper haben sie sich auch nicht gemacht. Das verdeutlicht ein Spruch des SVO-Stürmers Christian Faulstich: Warum Linder denn Angst haben sollte, „der weiß doch sowieso nix mehr“. Linder lacht, wenn er diese Anekdote aus der Kabine erzählt – und wird sogleich etwas nachdenklich. „Vielleicht ist es wirklich besser, dass ich keine Bilder davon mehr im Kopf habe.“Vom Zusammenprall, dem epileptischen Anfall, der Landung des Rettungshubschraubers. So fiel es ihm möglicherweise leichter, die ganze Sache zu verarbeiten. Außerdem galt es, auch neben dem Fußballplatz nichts zu verlieren. Linder studierte zu dieser Zeit, machte ein Praxissemester bei einer Mindelheimer Firma für Werkzeug-, Maschinenund Anlagenbau. „Die haben mir die Zeit gegeben, die ich gebraucht habe. Ich habe dann das Praxissemester in den Semesterferien nachgeholt.“Mittlerweile ist er Entwicklungsingenieur und arbeitet bei einer Firma für Antriebstechnik in Mauerstetten.
Nachwirkungen oder Beschwerden hat er nicht. Kein Wunder, möchte man meinen. Denn Tobias Linder ist hart im Nehmen. Kaum eine Verletzung, die er in seiner Sportlerkarriere noch nicht gehabt hat: Seine Krankenakte beinhaltet beinahe alles, vom Zehenbruch bis zum Sehnenriss im Finger. „Ich habe mal ein gutes Jahr am Stück gespielt. Das war aber auch am längsten“, sagt er. In der Vorbereitung auf die laufende Saison hat er sich das Außenband gerissen, fiel neun Wochen aus. „Mehr sollte jetzt nicht mehr dazukommen. Denn irgendwann nervt es“, sagt Linder.
Am Samstag nun geht es wieder gegen Buchloe. Die Sache von damals spielt für Linder keine Rolle mehr. Es sei ein Spiel wie jedes andere. Zumal der damalige Gegenspieler nicht mehr dabei ist.