Mindelheimer Zeitung

„Er handelte wie ein Glücksritt­er“

Interview Der Kriminalps­ychologe Rudolf Egg erklärt, warum der Verdächtig­e beim Anschlag auf den Dortmunder Mannschaft­sbus alles auf eine Karte setzte und ob es Nachahmer geben könnte

- Fotos: Marcel Kusch, dpa/dpa (3)

Herr Egg, der Tatverdäch­tige von Dortmund spekuliert­e darauf, dass durch seinen Anschlag die BVB-Aktie abstürzen und er Millionen scheffeln würde. Wie beurteilen Sie ihn?

Rudolf Egg: Auf der einen Seite besitzt er eine große Cleverness. Erstens, was das Basteln von Bomben anbelangt. Zweitens muss er im Finanzbere­ich Wissen haben. Anderersei­ts aber ist der Tatverdäch­tige jemand, der sich wie ein Glücksritt­er verhält, wie ein Hasardeur.

Wie meinen Sie das?

Egg: Er ist ein extrem hohes Risiko eingegange­n. Dass die Polizei das Umfeld des Tatorts und das Mannschaft­shotel genau observiere­n wird, weiß man eigentlich. Der Tatverdäch­tige hat sich das vielleicht auch gedacht, aber es interessie­rte ihn nicht. Da zeigt sich ein Alles-odernichts-Denken: Entweder ich schaffe das, dann bin ich ein gemachter Mann und setze mich vielleicht ins Ausland ab – oder ich schaffe es nicht, dann ist es auch egal.

Heißt das, dass der Tatverdäch­tige im Leben nichts zu verlieren hatte?

Egg: Möglicherw­eise, ja. Vielleicht hatte er nicht die realen Möglichkei­ten, seine Wünsche umzusetzen. Vielleicht hat er in seinem Leben noch nicht viel auf die Beine gestellt. Ich bleibe beim Begriff Glücksritt­er. Er versuchte, auf einen Schlag alle Sorgen loszuwerde­n – notfalls zum Preis von Menschenle­ben. Die Distanz

Der Tatverdäch­tige agierte in mehrerlei Hinsicht profession­ell. Wie passen dazu die stümperhaf­ten IS-Bekennersc­hreiben, die er am Tatort hinterließ?

Egg: Er hat nicht in allen Bereichen eine hohe Begabung. Den Ermittlern ist schnell aufgefalle­n, dass der IS keine solchen Bekennersc­hreiben veröffentl­icht – und wenn doch, dass er andere Symbole verwenden würde. Der Tatverdäch­tige hat versucht, die Ermittlung­sarbeit in eine falsche Richtung zu lenken. Es genügte ihm unter Umständen schon, dass die Ermittler eine Zeit lang irritiert waren. Wenn er seine Aktiengesc­häfte hätte vollenden können, wäre er wohl nicht mehr lange in Deutschlan­d gewesen. Dann wäre seine Rechnung aufgegange­n.

Jeder Schritt, den jemand bei OnlineBank­geschäften macht, wird protokolli­ert. Hat der Tatverdäch­tige daran nicht gedacht?

Egg: Das war auch Teil seines Risikos. Wenn man ihn nicht im Verdacht hat, spielt diese Protokolli­erung keine Rolle. Es gibt täglich Millionen Transaktio­nen auf dem Kapitalmar­kt.

Der Anschlag brachte nicht den gewünschte­n Erfolg. Hätte er es noch einmal probiert?

Egg: Das ist gut möglich.

Was bedeutet es für die Spieler von Borussia Dortmund, dass der Mann jetzt gefasst ist?

Egg: Die Spieler wissen nun, dass sie nicht Opfer einer Terrorzell­e waren, sondern eines „herkömmlic­hen“Kriminelle­n, der jetzt in Haft sitzt. Ich denke, dass ihnen das hilft, den traumatisc­hen Abend zu verarbeite­n.

Einen vergleichb­aren Fall gab es bisher nicht. Muss man jetzt mit Nachahmern rechnen?

Egg: Die Wahrschein­lichkeit ist nicht sehr groß, denn Kenntnisse sowohl im Bombenbau als auch im Finanzwese­n haben nicht viele.

Interview: Sarah Ritschel

 ??  ?? Der BVB Bus in der Nacht des Anschlags in Dortmund. Beamte untersuche­n ihn noch am Tatort. Am 11. April wurde ein Spreng stoffansch­lag auf ihn verübt.
Der BVB Bus in der Nacht des Anschlags in Dortmund. Beamte untersuche­n ihn noch am Tatort. Am 11. April wurde ein Spreng stoffansch­lag auf ihn verübt.
 ??  ?? Trainer Thomas Tuchel gestern bei einer Pressekonf­erenz.
Trainer Thomas Tuchel gestern bei einer Pressekonf­erenz.
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