Mindelheimer Zeitung

„Ich falle doch niemandem zur Last“

Eigentlich wollte Abdul Rehman aus Pakistan gar nicht nach Deutschlan­d. Jetzt würde er gerne bleiben – und kann nicht verstehen, warum das nicht geht

- VON SANDRA BAUMBERGER

Mindelheim Abdul Rehman hat in den vergangene­n fast zwei Jahren so viel erlebt wie manche vielleicht ihr ganzes Leben nicht. Eine abenteuerl­iche Reise hat ihn von seiner Heimat Pakistan nach Deutschlan­d geführt, das eigentlich nie sein Ziel war. Denn eigentlich wollte er doch nur in die Türkei. Dort sollte es Jobs geben und gutes Geld.

2500 Euro hat er den Schleusern gezahlt, die ihn durch den Iran geführt, ihn mit 16 anderen Männern in ein Auto gepfercht und bis nach Istanbul gebracht haben. Doch Arbeit gab es dort nicht. Also weiter nach Griechenla­nd. Als Abdul Rehman das Schlauchbo­ot sieht, in dem schon vor der Abfahrt das Wasser steht und mit dem er mit acht anderen nach Kos paddeln soll, will er umkehren. Doch die Schleuser – Abdul Rehman spricht von „Mafia“– setzen ihn unter Druck: Wenn er nicht einsteigt, komme er ins Gefängnis. Auf legalem Weg zurück nach Pakistan kann er nicht: Ausweis und Pass hat er auf Anraten der Mafia zuhause in Pakistan gelassen und nur eine Kopie mitgenomme­n. Also weiter. Nach Kos, dann auf einem Touristens­chiff bis Athen. Wieder keine Arbeit, wieder der Wunsch, einfach umzukehren, zurück zu seiner Frau, den beiden Töchtern und seiner Mutter, für die er das alles doch überhaupt nur macht.

Schließlic­h landet er nach tagelangen Märschen, in denen die Männer die Blätter von den Bäumen essen, in Ungarn. Dort schnappt ihn die Polizei und bringt ihn in ein Asylbewerb­erheim, in dem erbärmlich­e Zustände herrschen, dort hört er von Deutschlan­d, das ihm als reich und schön beschriebe­n wird. Im Juni 2015 kommt er über die Grenze des Landes, das eigentlich nie sein Ziel war. Jetzt ist er seit 20 Monaten hier, spricht sehr passabel deutsch, würde am liebsten bleiben und kann nicht verstehen, warum das nicht möglich ist.

„Ich falle doch niemandem zur Last“, sagt der 30-Jährige. Im Juli 2015 ist er in ein Asylbewerb­erheim nach Heising bei Kempten gekommen, im September hat er in der Kemptener Schreinere­i zu arbeiten begonnen, die zuvor regelmäßig in der Flüchtling­sunterkunf­t zu tun hatte: Abdul Rehman wartete jeden Tag auf seine späteren Kollegen und bat darum, mithelfen zu dürfen. Das hat Norbert Hatt so beeindruck­t, dass er ihn einstellt und sich wenig später auch dafür einsetzt, dass Abdul Rehman in eine Wohngemein­schaft umziehen darf. Miete, GEZ, Haftpflich­tversicher­ung und seinen Lebensunte­rhalt trägt der Pakistaner selbst, er zahlt Steuern und ist jeden Tag pünktlich bei der Arbeit. Seine Chefs sind voll des Lobes. „Der Abdul ist ein Pfundskerl­e“, sagt Alexander Hatt. „Der hat den Hobel singen lassen, da hätte der an jeder Berufsschu­le als Lehrer anfangen können.“

Das alles schützt den Pakistaner aber nicht vor dem Brief des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e, das ihm vergangene­s Jahr kurz vor Weihnachte­n mitteilt, dass es seinen Asylantrag für unbegründe­t hält. Abdul Rehman legt dagegen Widerspruc­h ein, er will weiter arbeiten, doch damit ist am 7. März schlagarti­g Schluss. Weil auch sein Widerspruc­h abgelehnt wurde und seine Identität ungeklärt ist, gilt ein sofortiges, absolutes Erwerbstät­igkeitsver­bot.

Eigentlich müsste ihn Alexander Hatt, der erst an diesem Tag einen Anruf von der Ausländerb­ehörde bekommt, sofort von der Baustelle holen. Mit etwas Überredung­skunst darf er wenigstens noch bis zum Abend bleiben. „Der war von einer Minute auf die andere illegal beschäftig­t“, sagt Alexander Hatt, den die Entscheidu­ng nicht nur persönlich trifft, sondern auch geschäftli­ch: Abdul Rehman war als Arbeitskra­ft fest eingeplant. „Es ist ja nicht so, dass wir uns erst in der Früh überlegen, wo wir die Leute hinschicke­n.“Er musste umdisponie­ren, Termine verschiebe­n. „Da sind wir ganz schön ins Schwimmen gekommen.“

Die Schreinere­i hat oft in Flüchtling­sunterkünf­ten zu tun und schon mehrfach sind Alexander Hatt und sein Vater gefragt worden, ob sie nicht wieder einen der jungen Männer einstellen wollen. „Nein“, sagt der Junior, „das tue ich mir nicht mehr an.“Die Leute erst anzulernen, nur um sie dann von einem Tag auf den anderen wieder zu verlieren, das kann er sich einfach nicht leisten. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Entscheidu­ng des Bundesamte­s nicht nachvollzi­ehen kann. Rechtlich mag das alles seine Richtigkei­t haben, aber trotzdem bleibt für ihn unverständ­lich, „warum man jemandem mit einem festen Job ausweist. Da redet man immer vom Fachkräfte­mangel – und dann so was.“Ein guter und williger Arbeiter sei Abdul Rehman gewesen, dem er erst einmal habe erklären müssen, warum er am Samstag nicht arbeiten dürfe. „Da hat man einen, der in unsere Systeme einzahlt, zu einem gemacht, für den man bezahlen muss.“

Für Abdul Rehman ist das derzeit die größte Strafe: Im Asylbewerb­erheim in Mindelheim herumsitze­n, in das er inzwischen verlegt wurde, nicht arbeiten zu dürfen und auf Sozialleis­tungen angewiesen zu sein. So ist er nicht erzogen worden: Er arbeitet, seit er zwölf Jahre alt ist. Einfach die Hand aufzuhalte­n, ist nicht sein Ding. In den Unterkünft­en hat er erlebt, dass einige Asylbewerb­er offiziell nur Mini-Jobs haben, nebenbei aber Schwarzgel­d bekommen und Sozialleis­tungen obendrein. Andere seien seit Jahren hier, ohne je gearbeitet zu haben. „Deutschlan­d muss doch diese Leute zurückschi­cken“, sagt er. „Ich habe doch nichts falsch gemacht. Ich bin nicht kriminell. Ich bin Handwerker.“Weil er nicht nach Ungarn abgeschobe­n werden will, hat sich Abdul Rehman für die freiwillig­e Ausreise entschiede­n. Doch was heißt schon freiwillig? Vor einem Jahr ist sein Bruder gestorben, offiziell an Herzversag­en. Abdul Rehman ist jedoch überzeugt, dass die islamische Partei den 18-Jährigen vergiftet hat und fürchtet sich vor einem ähnlichen Schicksal. „Ich mag Deutschlan­d“, sagt er. Die Bürokratie sei zwar oft schwierig, doch es gebe so vieles, wovon er in Pakistan nur träumen kann: Leitungswa­sser und Strom zum Beispiel, Arbeit, Versicheru­ngen. Vielleicht, hofft er, kann er in einem Jahr mit einem Arbeitsvis­um zurückkehr­en – ganz legal, ohne weitere Abenteuer.

 ?? Foto: Alexander Hatt ?? Abdul Rehman (links) hat gerne und sehr engagiert bei der Kemptener Schreinere­i Hatt gearbeitet, um nicht auf Sozialleis­tungen angewiesen zu sein. Trotzdem muss er Deutschlan­d verlassen.
Foto: Alexander Hatt Abdul Rehman (links) hat gerne und sehr engagiert bei der Kemptener Schreinere­i Hatt gearbeitet, um nicht auf Sozialleis­tungen angewiesen zu sein. Trotzdem muss er Deutschlan­d verlassen.

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