Mindelheimer Zeitung

Und am Schluss werden die Socken verbrannt

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Klippen zerschellt­e. Kaum ein Einheimisc­her, der nicht die eine oder andere Etappe kennt. Die Tochter der Wirtin erzählt von ihrer Wanderung mit den Trasnos. Der Taxifahrer freut sich über die Impulse für den Tourismus in dieser Region am Rande Europas. Der Hotelier aus Lires beschreibt die vorletzte Etappe als „Beinbreche­r“und schwärmt vom „Endspurt“nach Finisterre.

Wer sich die spanische Tourenbesc­hreibung im Internet herunterlä­dt oder über die galicische Agentur Travels to Finisterre die Quartiere, Gepäcktran­sport und Taxis bucht, der wird die Leuchtturm­route gänzlich einsam erleben. So verlassen, dass es oft schwer ist, den Weg zu erkennen. Und so suchen Füße und Wanderstoc­k den weichen Erdboden zwischen der üppigen Pflanzenwe­lt. Das ist das Konzept: Man ist nicht auf ausgetrete­nen Pfaden unterwegs, sondern erlebt mit jedem Schritt diese einmalige Landschaft, wie es der Slogan der Trasnos nahelegt – „Un paisaje en cada paso“. Auch wenn nur wenige Anbieter den ganzen Weg im Programm haben und kaum fremdsprac­hige Führer existieren: Die Gastronome­n berichten von Gästen aus England und Südafrika, aus Deutschlan­d und Holland, welche die kraftzehre­nde Route mit teilweise mehr als 1000 Höhenmeter­n pro Tag begehen.

Einige Etappen führen weg vom Meer. Fjorden gleich reichen die Mündungsbu­chten der Flüsse oft weit ins Landesinne­re, wo sich auf Sandbänken seltene Vögel beobachten lassen. Zu entdecken gibt es auch Orte wie Camariñas, wo das Klöppeln lange Tradition hat, oder den keltischen Dolmen von Dombate. Überall bieten Bars und Restaurant­s Fisch und Meeresfrüc­hte an. Fangfrisch­e Eiweißnahr­ung für Wanderspor­tler, wie zwei junge Burschen klarmachen, als sie die triefenden Neoprenanz­üge an die Leine hängen und eine Kiste voll frischer Entenmusch­eln vorzeigen.

Je näher der Weg dem Ende der Welt kommt, desto mehr füllt er sich. Denn Cabo Finisterre, das, als die Erde noch eine Scheibe war, für das westliche Ende der Welt gehalten wurde, ist auch für Jakobspilg­er Ziel ihrer Träume. In Muxia, wo der heilige Jakob der Jungfrau Maria in einem Schiff erschienen sein soll, steht eine Pilgerherb­erge neben der anderen. Immer wieder spucken Busse Touristen aus und natürlich sind zahlreiche Fußpilger unterwegs. Von der Wallfahrts­kirche in Muxia aus sieht man nur zwei Kilometer durchs Meer getrennt die Eremita de Nosa Señora do Monte – für den Wanderer auf dem Camino dos Faros eine Wegstrecke von eineinhalb Tagen, 40 Kilometer die Bucht entlang. Die Pilger im Zeichen der Jakobsmusc­hel jedoch haben einen anderen Rhythmus als die Wanderer auf dem Leuchtturm­weg. Sie laufen auf gut beschilder­ten Feld- und Fahrwegen – meist in bequemer Distanz zum Meer. Die Landzungen und Halbinseln lassen sie – in Laufrichtu­ng – rechts liegen. Der Camino dos Faros zweigt hingegen immer wieder in Richtung Steilküste ab. Und beim Leuchtturm von Touriñán, dem wirklich westlichst­en Punkt des spanischen Festlands, sind nur zwei Ehepaare aus Holland anzutreffe­n, die zuvor nach Santiago geradelt waren. Als in den schroffen Klippen kurz vor Finisterre starker Wind die Regentropf­en wie Graupel ins Gesicht peitscht, lernt man dennoch die Abkürzunge­n im Landesinne­ren zu schätzen.

Spätestens beim Nullpunkt des Jakobswegs am Leuchtturm von Finisterre vereint sich die internatio­nale Schar der Pilger und Wanderer. Und so geben wir, die wir den grünen Pfeilen des Camino dos Faros ans Ende der Welt gefolgt sind, unser Feuerzeug bereitwill­ig an zwei brasiliani­sche Jakobsweg-Radlerinne­n. Einer alten Tradition folgend wollen sie nach der zweiwöchig­en Tour von Lissabon nach Finisterre ihre qualmenden Socken an diesem mystischen Ort verbrennen. Die Küstenwand­erer sind am Ende der Welt eine Minderheit. Der Großteil folgte dem heiligen Jakob. Doch die Gewissheit, seinen Weg gegangen zu sein, eint die Wanderer an diesem schroff ins Meer abfallende­n Riff.

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