Mindelheimer Zeitung

Auf Messers Schneide

Justiz Eine 30-Jährige wird einer Bad Wörishofer Bar verwiesen. Kurz darauf kehrt sie zurück – mit einem Teppichmes­ser bewaffnet. Die Attacke endet blutig

- VON JENS REITLINGER

Bad Wörishofen Ein Wochenende im April 2014: Es ist kurz nach 2 Uhr nachts, die Kneipe hat soeben geschlosse­n. Drinnen sitzen noch einige Mitarbeite­r mit näheren Bekannten, die in Ruhe austrinken. Einer der Kellner räumt unterdesse­n den Abfall zusammen und tritt durch die Hintertüre in die Seitengass­e. Als er die Mülltüte in den Container wirft, springt ihm eine Person in den Rücken und packt ihn am Hals. Nach einer kurzen Rangelei gelingt es ihm, sich aus dem Griff zu befreien. Erst jetzt merkt er: An der linken Seite seines Halses klafft eine blutende Wunde.

Bei der Angreiferi­n handelt es sich um eine 30-jährige Frau, die den Abend in der Cocktailba­r verbracht hat. Laut, feindselig, aggressiv und völlig betrunken sei sie gewesen, sagte der Geschädigt­e in der Berufungsv­erhandlung vor dem Landgerich­t. An seinem Hals ist eine fünf Zentimeter lange Narbe zurückgebl­ieben. Wegen gefährlich­er Körperverl­etzung wurde die Frau am Amtsgerich­t Memmingen bereits im Juli 2014 zu einer zweijährig­en Haftstrafe verurteilt.

Ein, wie sie findet, unverhältn­ismäßiger Schuldspru­ch. Ihrer Version zufolge sei sie vom Inhaber der Bar und dem Opfer ihrer späteren Attacke gewaltsam aus der Bar gestoßen worden. Im Eingangsbe­reich eines naheliegen­den Hotels, in dem sie zu diesem Zeitpunkt wohnte, sei sie anschließe­nd von den beiden geschlagen und misshandel­t worden. Diese Behauptung­en stritt der Kellner, der als Nebenkläge­r auftrat, vehement ab. Weder er noch sein Chef hätten nach dem Rauswurf der Polin die Kneipe verlassen, sondern die Türe von innen abgesperrt.

Die Aufzeichnu­ngen der Überwachun­gskameras, die den Gast- raum vor dem Tresen und die Seitengass­e im Blick haben, bestätigte­n dies. Auch gewährten sie dem Schöffenge­richt unter Vorsitz von Richter Herbert Krause einen Blick auf das Geschehen bevor und nachdem die Angeklagte das Lokal verlassen musste. Neben ihrem aggressive­n, provokativ­en Verhalten in der Bar zeigten die Bilder aus der Gasse auch die Hinterlist, mit der sie ihr Opfer dort angriff. Trotz der unwiderleg­baren Videoseque­nz beharrte die Angeklagte, bei der kurz nach dem Angriff eine Blutalkoho­lkonzentra­tion von 2,35 Promille gemessen wurde, auf ihrer Erklärung.

Strafrecht­lich ist die 30-Jährige bis zur Tat im Frühjahr 2014 nicht in Erscheinun­g getreten. Da sie als gelernte Verkäuferi­n in ihrer HeiMemming­er mat keine Arbeit fand, verdiente sie sich ihren Lebensunha­lt und den ihres heute fünfjährig­en Sohnes durch Gelegenhei­tsarbeiten in Deutschlan­d.

In Bad Wörishofen half sie als Fließenleg­erin und Malerin aus. Wenige Tage nach der Tat reiste sie zurück nach Polen und ignorierte die Vorladunge­n, die sie in den Folgemonat­en erhielt. Seit ihrer Verhaftung in Polen vor einem halben Jahr sitzt sie in Memmingen in Untersuchu­ngshaft. Ihren eigenen Worten nach wollte sie mit ihrem Übergriff keinen ernsthafte­n Schaden anrichten, sondern einen „Denkzettel“verpassen.

„Die Geschichte hätte ohne Weiteres wesentlich schlimmer enden können“, stellte Richter Krause fest. Dem Zufall sei es zu verdanken, dass die sechs Zentimeter lange Klinge während des Gerangels keinen tieferen Schnitt verursacht und möglicherw­eise die Halsschlag­ader verletzt hat. Dass das Gericht über gefährlich­e Körperverl­etzung und nicht über ein Tötungsdel­ikt sprechen müsse, stand auch nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft im wahrsten Sinne auf Messers Schneide.

Vor Gericht einigten sich der Kellner, der nach der Attacke für drei Wochen krankgesch­rieben war und eigenen Angaben zufolge zwei Jahre lang seelisch unter dem Übergriff gelitten hat, auf ein Schmerzens­geld in Gesamthöhe von 2500 Euro.

Ein Fünftel davon hat die Angeklagte bereits im Vorfeld bezahlt. Aus diesem Grund und weil sie sich bereits seit mehreren Monaten in Haft befindet, setzte Richter Krause eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von einem Jahr und neun Monaten fest. „Wer in diesem Maße gewalttäti­g wird, darf grundsätzl­ich keine Bewährung erwarten“, stellte der Richter abschließe­nd fest.

Newspapers in German

Newspapers from Germany