In Umkleideräumen Geld und Handys gestohlen
Ein Heroinabhängiger greift in die Taschen von anderen, um seine Sucht zu finanzieren. Ihm werden mehr als 20 Fälle zur Last gelegt. Dennoch gibt es auch Tatsachen, die für ihn sprechen
Mindelheim/Unterallgäu Mit zwölf probierte er die ersten Drogen aus, mit 29 Jahren stand er vor dem Richter – und das nicht zum ersten Mal. Davon zeugen die zwei dicken Aktenstapel, die Richter Nicolai Braun und eine der beiden Schöffinnen vor der Verhandlung in den Sitzungssaal des Amtsgericht tragen. Die Anklageschrift gegen den drogenabhängigen Mann ist lang: Um seine Sucht zu finanzieren, hat er vielerorts in Mindelheim und in Germaringen (Ostallgäu) Geld gestohlen.
Es waren keine großen Summen, die der 29-Jährige erbeutet hat, aber mehr als 20 Taten, die ihm zur Last gelegt werden: Der Mann hatte es vor allem auf Geldbörsen und Handys abgesehen, die er an zahlreichen Orten mitgehen ließ – überwiegend in Umkleideräumen von Sportstätten in der Kreisstadt. In einem Restaurant, im Landratsamt, in einer Tanzschule, in Arzt- und Physiotherapiepraxen sowie im Seniorenheim war er ebenfalls „aktiv“ schreckte sogar vor Sparschweinen mit Trinkgeldern für die Arzthelferinnen nicht zurück.
Als sich der 29-Jährige im Wäscheraum eines Hotels an einer Tasche zu schaffen machte, erwischte ihn eine Angestellte – er konnte flüchten. Gefasst wurde er, als er im November einen Rollcontainer in einer Physiotherapiepraxis öffnen wollte und dabei überrascht wurde. Zudem hatte ihn die Polizei bereits im September bei einer Kontrolle am Mindelheimer Bahnhof mit mehr als sechs Gramm Heroin in der Tasche erwischt. Bei der Durchsuchung seines Zimmers im elterlichen Haus am Tag nach seiner Festnahme fand die Polizei zudem ein paar Gramm Marihuana.
Ein Polizist schildert vor Gericht, wie gegen den 29-Jährigen ermittelt wurde. „Diese Arten von Diebstählen haben sich 2016 gehäuft“, sagt er. „Wir wussten, dass der Angeklagte wieder im Lande war – und er war dafür bekannt.“Ein Überwachungsvideo bei einer Turnhalle lieferte einen ersten Beweis: Polizisten erkannten darauf den 29-Jährigen. Bei der Durchsuchung kamen daraufhin Dinge zum Vorschein, die bestimmten Diebstählen zugeordnet werden konnten. Zudem erkannten ihn die Zeugen teils wieder und ein DNA-Test für einen der Tatorte verlief positiv.
Bereits während der Diebesserie hatte es eine erste Durchsuchung im Zimmer des Angeklagten gegeben. Als der Mann anschließend zur Vernehmung beit, erklärt der 29-Jährige. Die erste Klasse in der Grundschule hatte er bereits wiederholen müssen, mit 16 verließ er die Schule. Da hat er bereits vier Jahre lang Drogen genommen.
Alles begann mit THC, mit zwölf Jahren, dann, so sagt er, habe er „die gängigen Sachen ausprobiert“. Mit 15 war der Unterallgäuer bei Heroin angelangt. „Ich hab’ es einmal probiert, dann einen Monat später noch mal, da war es schon besser“, erinnert er sich. „Beim dritten Mal hat’s mir dann gefallen – aber dann war’s schon zu spät.“
Drei Mal ging er in Therapie, die letzte verließ er clean. Er fand einen Job. Der Weg zurück in ein geordnetes Leben schien geregelt. Im August 2016 dann der Rückfall. „Danach war’s chaotisch“, erinnert er sich. „Straftaten. Die Abhängigkeit wurde größer. Das ging dann alles sehr schnell.“Der Grund, warum er wieder Drogen genommen hatte? „Schwer zu sagen“, meint er. „Vielleicht ist es zu gut gelaufen. Ich wollte mir was gönnen.“Heute sieht er ein: „Ich hatte schon Monate im Voraus die falsche Denkweise.“Seit seiner Verhaftung im November sitzt der Mann wieder hinter Gittern. „Mir geht’s besser ohne Drogen“, sagt er, weshalb er sich im Gefängnis an die Drogenberatung gewandt hat und auf den berühmten Paragraf 64 hofft: die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
Diesem Wunsch kommt das Schöffengericht in seinem Urteil nach. Es verurteilt den 29-Jährigen zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren Haft. Einen Teil davon wird er im sogenannten Maßregelvollzug verbringen. Neben seinem Geständnis sprach auch das zurückgegebene Diebesgut für ihn, sowie die Tatsache, dass es sich „nur“um sogenannte Einschleichdiebstähle gehandelt hatte. Er war also nirgends eingebrochen. Man wolle dem 29-Jährigen die Chance auf eine Therapie nicht verbauen, erklärt Richter Nicolai Braun. Wenn er nicht mitmache, müsse er die Strafe absitzen. Seine letzten Worte richtet Braun an den 29-Jährigen: „Schauen Sie, dass Sie aus der Sackgasse rauskommen.“