Vom Glück eines betagten Sängers
Porträt Erwin Schneider hatte in seiner Jugend schwere Jahre erleben müssen. Die Gemeinschaft in der Sängervereinigung hat ihn wieder lebensfroh gemacht – dafür ist er bis heute dankbar
Mindelheim Diese Generation ist buchstäblich verheizt worden. Wer 1927 auf die Welt kam, den traf der Zweite Weltkrieg mit voller Wucht. Erwin Schneider aus Mindelheim ist Jahrgang 1927. 17 Jahre jung war er erst, als er 1944 nach Frankreich abkommandiert wurde, wo er als Flaksoldat in der Bretagne und der Normandie eingesetzt wurde. Als ein Jahr später endlich die Waffen schwiegen, musste Schneider wie Hundertausende andere auch den harten Gang in die Kriegsgefangenschaft antreten.
Das ist der Resonanzboden, auf dem das Leben von Erwin Schneider und seiner Generation fußt. Diese Jahre, in denen die jungen Burschen jeden Tag mit Tod oder Verstümmelung rechnen mussten und die Daheimgebliebenen um ihre Söhne in größter Sorge lebten, haben sich tief in die Seele eingebrannt. An Weihnachten 1948, Jahre nach dem Kriegsende, durfte der gelernte Elektriker Erwin Schneider erst wieder die Heimreise antreten und kam zurück in sein Mindelheim. Dreieinhalb Jahre Kriegsgefangenschaft voller Entbehrungen und Heimweh lagen hinter ihm.
Schneider kam in ein Mindelheim zurück, wo er sich erst einmal neu finden musste. Alte Freunde hatten sich aus den Augen verloren, viele waren gar nicht mehr zurückgekommen. Ein Bekannter gab ihm den Tipp, zur Sängervereinigung zu gehen, die sich damals neu formierte und mit 90 Aktiven einen beeindruckenden Klangkörper bildete. Das Singen in der Gemeinschaft, „das bringt den Humor zurück“, hatte ihm der Mann geraten.
Es sollte ein kluger Ratschlag gewesen sein. Erwin Schneider ist seit Ende der 40er Jahre bei den Sängern. Und auch heute mit 90 Jahren gehören die wöchentlichen Proben im Sängerheim an der Schwesternwiese zu seinen glücklichsten Momenten. Er ist begeisterter Sänger. „Wir pflegen das alte Liedgut und freuen uns auf Neues“, erzählt er.
Auch öffentliche Auftritte bestreitet der älteste Sänger der Sängervereinigung nach wie vor mit Bravour als Bass, auch wenn er nicht mehr immer bis spät nachts dabei sein kann. Auf der Mindelburg beim Sängerfest war Schneider im Vorjahr dabei oder beim Frundsbergfest vor zwei Jahren. Und natürlich macht er mit, wenn der Chor zu einem Geburtstagsständchen zu einem der Sängerkameraden vorbeischaut. Er selbst durfte sich im Januar zu seinem 90. über diese warmherzige Geste freuen.
Es sind langjährige Freundschaften, die den Chor ausmachen. Helmut Baader war zu Beginn Chorleiter, Hermann Kopp Vorsitzender. Für Erwin Schneider waren diese Persönlichkeiten große Vorbilder. Für ihn war das Singen immer auch so etwas wie ein Korrektiv, wenn es mal Sorgen im Alltag gab oder etwas misslungen war. Das bestätigt auch seine Frau Antonia. „Er war immer wie umgedreht, wenn er bei den Sängern war“, erzählt die liebenswerte 91-jährige Dame, die aus Oberkammlach stammt und ihren Erwin schon vor Kriegsende kennengelernt hatte. Sie hatten vier Kinder, zwei leben noch. Gemeinsam haben sie das Elektrofachgeschäft gleichen Namens betrieben.
Das Singen in der Gemeinschaft hat Erwin Schneider geholfen, all das Schreckliche zu verarbeiten, das er als jugendlicher Kriegsteilnehmer erleben musste. Seinen Frieden mit der Vergangenheit hat er aber auch auf einer Reise nach Frankreich gemacht. Er war mit seiner Frau überall dort in der Bretagne und in der Normandie unterwegs, wo er auf Menschen getroffen war, die Herz und Menschlichkeit gezeigt hatten. Alles andere hat er links liegen gelassen. Einig waren sie sich alle, dass es nie wieder zu einem Krieg kommen darf.
Singen will Erwin Schneider, so lange es geht. Diese Gemeinschaft hält ihn fit. Und er hat einen Rat für alle, die nach Mindelheim ziehen und nicht wissen, wohin. „Bei den Sängern sind alle herzlich willkommen“. Über die Musik finden die Menschen zueinander.