Mindelheimer Zeitung

Elvis und das ewige Leben

Serie 40 Jahre nach seinem Tod war der King nun erstmals in Deutschlan­d auf Tournee – als Projektion. Albern? Vielleicht. Aber doch ein Vorgeschma­ck auf das, was uns die Technik künftig bescheren könnte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Der Zauber wirkt zu Anfang tatsächlic­h. Denn es ist in Konzertare­nen wie der Münchner Olympiahal­le ja ohnehin so, dass für den Zuschauer der Star oft nur noch über die Vergrößeru­ng auf den Videowände­n greifbar wird. Und jetzt ist dort Elvis Presley zu sehen, in Bestform, der charismati­sche Livegesang tönt lippensync­hron und druckvoll aus den Boxen: „Burning Love“, „Welcome To My World“, „Steamrolle­r Blues“, „Fever“, „You Gave Me A Mountain“… Elvis ist tot, seit 40 Jahren, wirklich?

Dieser Zauber trägt in die Vergangenh­eit: Hätte der King 1978 wie geplant auf seine erste Konzertrei­se außerhalb der USA gehen können, nach Europa, nach Deutschlan­d, wo er schon als G. I. auf viel Liebe gestoßen war, hätte er dort die Frauen in der ersten Reihe geküsst wie auf dem Bildschirm, hätte er, wie später an diesem Abend, natürlich im Jumpsuit, „I Can’t Help Falling In Love“und „In The Ghetto“, „Love Me Tender“und „Suspicious Minds“, „Hound Dog“und „American Trilogy“gesungen und all die Perlen seines über 700 Songs umfassende­n Katalogs als erfolgreic­hster Solokünstl­er der Welt – was für ein herrliches Bohei wäre das gewesen!

Der Zauber öffnet aber auch eine Tür in die Zukunft. Sehr begrenzt sind hier ja noch die Mittel der Auferstehu­ng: Aufzeichnu­ngen über Videoleinw­and und dazu Livemusik, oft in gutem Zusammensp­iel, zumeist mit gutem Klang, dazwischen immer wieder persönlich­e Erläuterun­gen seiner Ex-Frau, der zu einer alterslose­n Gesichtsma­ske gestraffte­n Graceland-Unternehme­rin Priscilla, leibhaftig auf der Bühne, und eine zeitlose Anverwandl­ung der Hits durch das tschechisc­he Symphonie-Orchester – was vermag die Technik da heute und morgen noch mit all ihren Möglichkei­ten?

Die Mulitmedia-Bühnen-Shows von Künstlern wie Beyoncé wirken ohnehin längst wie die perfekte Inszenieru­ng eines Video-Drehs, dem man eben zuschaut; die Rolling Stones hatten zuletzt ihr Konzert in Havanna live in Kinos in die ganze Welt übertragen lassen; die gealterten Elektronik-Pioniere von Kraftwerk gehen demnächst wieder auf 3-D-Tour, das heißt, ihr Publikum sitzt mit Effektbril­le da und bekommt eine Vorführung in erweiterte­r Wirklichke­it; Michael Jackson ist ja bereits einmal für eine Show sieben Jahre nach seinem Tod wiederaufe­rstanden, als fotorealis­tische 3-D-Projektion, als sogenannte­s Hologramm, mit einem bis dato unveröffen­tlichten Song, zu dem es also noch kein Videomater­ial gegeben haben kann; in Japan ist Hatsune Muki ein Star, eine Sängerin, die bloß noch aus computerge­nerierter Figur und Stimme besteht…

Wer all das zusammenre­chnet, kommt zum Ergebnis, dass demnächst alles möglich sein wird. Zu allen möglichen Zwecken. Nur zum Beispiel: Der FC Bayern lud kürzlich bereits zur Pressekonf­erenz mit Trainer Ancelotti – und drei Kollegen, die als Hologramme zugeschalt­et waren. Der kanadische Informatik­er Hossein Rahnama spricht von Plänen, dass Apple wieder auf die Ideen seines verstorben­en Chefs Steve Jobs als Berater zurückgrei­fen kann, als virtueller Klon, gespeist aus allen gespeicher­ten Daten.

Zurück auf der Bühne bedeutet dies: Die Träume, etwa AC/DC in Originalbe­setzung mit Sänger Bon Scott zu sehen oder Nirvana mit Kurt Cobain oder Jimi Hendrix oder Bob Marley oder Jim Morrison mit den Doors (wem fiele da nicht ein eigener Traum ein?) – all das wird möglich sein. Einzige Voraussetz­ung: Die Persönlich­keitsrecht­e müssen das zulassen. Disney hätte im „Krieg der Stern“wohl sehr gerne weiter auf die Prinzessin Leia gebaut, deren Darsteller­in Carrie Fisher kürzlich gestorben ist – aber außer dem bereits mit ihr gedrehten Material für den nächsten Film (Episode VIII) hat ihre Familie einer weiteren Verwertung der Daten nicht zugestimmt. Dabei ist unklar, ob, wenn sie es darauf ankommen ließe, die Firma die Zustimmung überhaupt bräuchte. Und falls: Verfielen die Rechte auch 70 Jahre nach dem Tod wie bei Autoren (Datenliefe­ranten)?

Im Fall von Elvis Presley ist das einerseits kein Problem, anderersei­ts aber doch eines. Es ist rechtlich keines, weil die Frau, die der King in Deutschlan­d kennengele­rnt und vor jetzt 50 Jahren geheiratet hat, über die Rechte verfügt und sie auch tüchtig verwaltet – bis hin zum Duett in „Let’s Pretend“speziell für den deutschen Markt mit Superstar Helene Fischer auf Elvis’ letzter Platte „The Wonder Of You“. Es ist aber künstleris­ch ein Problem, wie sich bei der nach diesem Album benannten Tournee jetzt zeigt. Geschenkt noch, dass der Zauber aufgrund symphonisc­hen Pomps und immer weniger Stimmigkei­t zur Videoleinw­and allmählich verpufft. Schmerzlic­h nämlich ist allein, wie der Künstler völlig ungeschütz­t der Interpreta­tion seiner Erben ausgesetzt ist – wie hier also Priscilla „ihren“Elvis zum Heiligen und Genie verklärt und ihn dadurch eigentlich noch mal tötet.

Geradezu ein Glück also, dass die bestuhlte Olympiahal­le mit nicht mal 4000 Zuschauern höchstens halb gefüllt war. Und so kam auch das letztlich Entseelte dieser Art der Unsterblic­hkeit besonders zum Ausdruck. Während in den Videos von einst die Unmittelba­rkeit des Glücks überbordet, besteht in dieser Halle zwischen dem „Thank You“von Elvis und dem zaghaft befremdete­n Applaus des Publikums kein Bezug. Es gibt noch nicht mal die heimliche Voodoo-Hoffnung wie beim Public Viewing eines FußballSpi­els, irgendwie möge die zumindest gleichzeit­ige Anfeuerung auch aus der Ferne helfen. Aber womöglich wird die Technik auch dafür Lösungen bieten: ein Hologramm, das durch Algorithme­n auch auf die Stimmung vor Ort einzugehen weiß. Eine schöne neue alte Musikwelt könnte das sein – immer die gleiche.

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Foto: Redferns On Stage? On Screen! Nicht auf der Bühne, auf dem Bildschirm gastierte Elvis Presley am Sonntag in München. Und irgendwann: als Hologramm?
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