Warum wird Jan Ullrich nicht vergeben?
Wer hoch fliegt, fällt tief. Das wissen wir, seit sich ein Kerl namens Ikarus Flügel auf den Rücken schnallte und in Richtung Sonne flatterte. Die schmolz ihm prompt die Federn weg und Ikarus stürzte ins Meer. Tot. Ende der Geschichte. Ein höchst ikareskes Schicksal hat Jan Ullrich ereilt. Glücklicherweise überstand er seinen Absturz körperlich unversehrt. Sein Ruf allerdings ist irreparabel ramponiert. Das war einmal mehr zu beobachten, als ihn kritische Kommentare dazu bewegten, das Amt des Rennleiters in Köln niederzulegen – vier Tage, nachdem er es übernommen hatte. Warum gehen wir so hart mit Ullrich ins Gericht?
Weil der ehemalige Rad-Profi einer von uns war. Zuverlässig kehrte er jedes Jahr mit Speckröllchen aus dem Urlaub zurück, die er mühsam abtrainierte. Jahr für Jahr quälte sich der Hochtalentierte durch die Tour de France. Millionen litten mit ihm mit und jubelten ihm zu, als er 1997 das größte Radrennen der Welt gewann.
Dann brannte ihm ein Dopingskandal die Flügel vom Rücken. Das war 2006. Rücktritt 2007. Rückzug ins Private. Funkstille. Zehn Jahre ist das her. Zeit genug, einem Menschen zu vergeben...?
Bis heute wirkt die epochale Enttäuschung nach, die die Glaubwürdigkeit einer ganzen Sportart zerstörte. Dazu kommt, dass es Ullrich versäumte, reinen Tisch zu machen. Ein ordentliches Geständnis, unter Tränen vorgetragen, hätte uns vielleicht etwas positiver gestimmt, was die Gewohnheit betrifft, Blut im Kühlschrank eines spanischen Dopingarztes einzulagern. Ullrichs alter Kumpel Erik Zabel hat gezeigt, mit welch simplen schauspielerischen Mitteln so etwas funktioniert.
Stattdessen aber beharrt Ullrich weiter darauf, nicht betrogen zu haben. Seine Logik: Ich habe doch nur für Chancengleichheit gesorgt. Wer sich aber selbst als Opfer sieht, obwohl er ein Täter war, darf sich nicht beschweren, dass ihm keine Vergebung gewährt wird.