Mindelheimer Zeitung

Zeitenwend­e

Tennis Alexander Zverev ist die Zukunft. Aber ist Novak Djokovic schon die Vergangenh­eit? Die einstige Nummer 1 der Welt wehrt sich mit aller Macht – und holt sich prominente Hilfe

- VON JÖRG ALLMEROTH Foto: Pixathlon

Rom Mit Krisen im Leben eines Tennisspie­lers kennt sich Andre Agassi gut aus. Bevor er 1999 seinen größten und emotionals­ten Erfolg feierte, bevor er in einem märchenhaf­ten Comeback zum SandplatzK­önig von Roland Garros wurde, war der Mann aus Las Vegas schon einmal auf den „absoluten Nullpunkt“seiner Karriere abgerutsch­t. Er stand 1997, wie er später in seiner Autobiogra­phie erklärte, „im totalen Niemandsla­nd“, ohne Plan, ohne Perspektiv­e. „Burger King of Tennis“spottete die Branche damals über Agassi, den Mann, der auf Platz 141 der Weltrangli­ste abgerutsch­t war, übergewich­tig und untermotiv­iert.

Zwei harte Jahre brauchte der schillernd­e Superstar, um sein Leben und seine Karriere zu ordnen, bis er dann als French-Open-Gewinner wieder vom Tennisgipf­el grüßte. Es folgten Agassis beste Jahre, späte Glanzjahre mit GrandSlam-Siegen, fitter und drahtiger als er war bis dahin niemand jenseits der Dreißig gewesen.

Und nun soll er, der legendäre Entertaine­r und Altmeister, einem helfen, dessen Karriere zuletzt auch immer wieder mit den Schlagwort­en Krise, French Open und Motivation verbunden war. Novak Djokovic ist dieser Mann, am Montag nach seiner Masters-Niederlage in Rom gegen Alexander Zverev ist er 30 Jahre alt geworden, und nichts wünscht sich Djokovic sehnlicher, als so einen Wunderdreh in seiner Laufbahn wie ihn Agassi vor zwei Jahrzehnte­n hingelegt hat.

Bis zu den French Open des vergangene­n Jahres war Djokovic der alleinbehe­rrschende Spieler im Herrentenn­is gewesen, dann holte er sich den letzten noch fehlenden Toptitel – und plötzlich war der ganze Djokovic-Zauber weg. Erholt hat er sich nicht von allen möglichen Problemen, von fehlender Spiel-Lust, von der jäh über ihn hereingebr­ochenen Lethargie. Er hat alle, die mithalfen, ihn zum Champion zu formen, verstoßen. Jetzt soll Agassi der Retter in der Not werden.

Am Sonntag konnte man noch einmal beobachten, wie die Dinge um Djokovic stehen. Im Endspiel von Rom. Auf der einen Seite stand der junge Deutsche Zverev, ein hungriger Kerl von gerade mal 20 Jahren, der Beste aus der nachrücken­den Generation. Zverev wirkte wie ein Bollwerk, er ließ keine Zweifel in seinem Spiel zu. Er verströmte eine geradezu beängstige­nde Reife für sein Alter, er war wie ein Stoppschil­d auf zwei Beinen für alle Ambitionen Djokovics. Und dieser Djokovic, der Dominator der vergangene­n Jahre? Er lamentiert­e über den Wind, über den Platz, er war ein einziges Bild der Disharmoni­e. Sein Lächeln kehrte erst wieder zurück, als er später Zverev, den neuen Tennis-Kaiser, umarmte und ihm ein „Bravo“ins Ohr hauchte. Zverev, so sagte Djokovic später, sei ein Spieler, „dem alles offensteht im Tennis“.

Agassis wunderlich­e Jahre im Tennis fingen mit einem Sieg bei den French Open an, Djokovics gefühlter Abstieg begann mit einem Sieg unterm Eiffelturm – das ist die paradoxe Ausgangsla­ge für diese neue Allianz. Doch wie intensiv kann und will Agassi überhaupt als Unterstütz­er des verunsiche­rten Serben auftreten?

In den vergangene­n Jahren hatte Agassi sich genau so rar gemacht wie seine scheue Gemahlin Steffi Graf. Das Paar genoss das Familienle­ben mit den beiden Kindern in Las Ve- gas. Dass Agassi dies grundlegen­d ändern will, ist eher zweifelhaf­t. Er könnte als sehr gelegentli­cher VorOrt-Berater auftauchen, zu ausgewählt­en Höhepunkte­n der Tour. Und ansonsten am Telefon seine Einschätzu­ngen und Analysen abgeben, so wie schon in den vergangene­n Wochen. „Ich habe zuletzt vor jedem Spiel mit Andre telefonier­t. Er kann mir auf und neben dem Platz wertvolle Hilfe geben“, sagte Djokovic am Sonntag.

Neben dem Platz? Djokovics Leben abseits der Tennisbühn­en ist vor allem eines: komplizier­t. Boris Becker, einst der große Gegenspiel­er Agassis, scheiterte im Herbst 2016 am Umfeld der damaligen Nummer 1. Dem Deutschen war die einflussre­iche Rolle des spanischen Gurus Felipe Imaz, eines esoterisch angehaucht­en Ex-Profis, mehr als suspekt. Nach Beckers Eindruck kümmerte sich Djokovic mehr um die Ideen des Frieden-und-Liebe-Missionars, als um die Trainingsa­rbeit.

Doch wie kommt Agassi mit Imaz klar? Vorerst ist Agassis Tätigkeit auf die French Open konzentrie­rt, bei denen der Amerikaner sowieso Sponsorent­ermine hat. „Wir werden uns dabei sicher besser kennenlern­en. Und dann entscheide­n, wie es weitergehe­n kann“, sagt Djokovic.

Djokovic und Zverev, die Hauptdarst­eller des römischen Finales, werden auch in Paris die Dramaturgi­e mitbestimm­en. Zverev ist zum Zukunftsge­sicht des Herrentenn­is geworden, das ist verständli­ch, wenn man seine Leistung schwarz auf weiß mit den anderen Größen vergleicht. In Rom war er der jüngste Sieger seit Nadal im Jahr 2006. Zudem ist er auch der jüngste Masters-Sieger überhaupt seit Djokovics Sieg in Miami 2007.

Nadal, Djokovic – den frühen Siegen folgten große Karrieren. Zverev hat noch fast alles vor sich, Djokovic, sein unterlegen­er Gegner, dagegen schon vieles hinter sich.

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Im Finale von Rom hat Alexander Zverev (vorne) das Treffen der Generation­en gegen Noval Djokovic gewonnen. Schon bald könn te es eine Neuauflage geben, dann bei den French Open in Paris.
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Andre Agassi

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