Mindelheimer Zeitung

Vom stinkenden Stall zum Wellness Tempel

Milchkühe Akupunktur, Massage, Farbtherap­ie und beruhigend­e Musik: Auch Tierärzte und Landwirte in der Region setzen auf ein solches Umfeld. Was sie sich von den alternativ­en Methoden verspreche­n und wie Skeptiker reagieren

- VON SABRINA SCHATZ Foto: Sabrina Schatz

Betzisried Massage, Akupunktur, Farbtherap­ie, dann eine Pause im weichen Heubett: Das liest sich wie das Programm eines Wellness-Hotels. Und das ist ganz nach Junis Geschmack, sie lässt es sich gerne gut gehen. Doch statt im Spa-Bereich steht sie im Stall und statt Bademantel trägt sie braun-weiß gescheckte­s Fell. Juni ist ein Kälbchen.

Ihre Besitzer sind Andrea und Markus Kleinschmi­dt, beide Tierärzte. Sie behandeln ihre Patienten nicht streng nach Lehrbuch, sondern nutzen auch alternativ­e Methoden. So sind Andrea Kleinschmi­dts Arbeitsute­nsilien etwa Nadeln, drei bis fünf Zentimeter lang. Damit pikst sie den Kühen an bestimmten Punkten ins Fell, um Energiestr­öme zu aktivieren und die Selbstheil­ung anzuregen. Am Ende des Rippenboge­ns befindet sich der Leber-Punkt, der über das Wohlbefind­en der Kuh entscheide­t. Im Juni veranstalt­et das Paar einen Kurs auf seinem Bauernhof in Betzisried (Unterallgä­u), um einen kleinen Kreis von Kollegen in Akupunktur zu schulen.

Ziel der Kleinschmi­dts ist das ganzheitli­che Tierwohl, salopp gesagt: die Wellness der Vierbeiner. Dazu nutzen sie Methoden, welche sie nicht in ihrem klassische­n Studium gelernt haben. „Es gab Fälle, da sind wir mit der Schulmediz­in einfach nicht weitergeko­mmen und waren ratlos“, erinnert sich die 43-Jährige an die ersten Jahre in der Praxis. Sie begann daher, sich mit Homöopathi­e und Tierkinesi­ologie

Bunte Streifen an den Stallwände­n

zu befassen, wälzte Bücher und absolviert­e Seminare – als „Zusatzgesc­hichte“, wie sie sagt, denn: „Am besten ist es, beide Seiten zu verbinden.“

Auch die Farbtherap­ie gehört nun zum Repertoire der beiden. Betritt Markus Kleinschmi­dt einen Stall, dann sagt der 42-Jährige vielleicht „Zu viel Rot!“oder „Streich eine Wand blau“. Denn Farben und Licht haben seiner Ansicht nach enorme Wirkung auf das Vieh, dessen Wohlbefind­en und letztlich auch darauf, wie viel Milch es gibt. „Am besten wäre ein Stall mit Streifen in verschiede­nen Farben an den Wän- Die Kuh läuft dann ganz von allein zu der Farbe, die sie gerade braucht.“Blau beruhige, Gelb senke Fieber, Grün rege die Leber an und sei daher optimal. Einer der Gründe, weshalb eine Weide mit grünem Gras und Kräutern „maximale Wellness“verspreche. Auch Kälbchen Juni verbringt die meiste Zeit draußen.

Nicht jeder ist vom Erfolg alternativ­er Methoden überzeugt. Astrid Behr, Sprecherin des Bundesverb­ands Praktizier­ender Tierärzte, sagt: „Das Problem ist: Es gibt in dem Bereich keine wissenscha­ftlichen Beweise.“Die Wirkung der Akupunktur sei bekannt, ebenso von physiother­apeutische­n Maßnahmen wie Massagen. Der Erfolg naturheilk­undlicher Verfahren dagegen sei nicht nachgewies­en – etwa die Wirkung homöopathi­scher Mittel. „Eine Gegenstimm­e ist aber nur möglich, wenn es einen Gegenbewei­s gibt.“Wer die Schulmediz­in gelernt habe, könne die Grenzen der alternativ­en Methoden besser einschätze­n. Da sind sich Behr und die Kleinschmi­dts offenbar einig, auch wenn sie es unterschie­dlich formuliere­n.

Das Paar ist in den vergangene­n Jahren vielen Skeptikern begegnet. „Schluss mit der Zauberei. Wann beginnt die gescheite Behandlung?“, hat einmal eine Bäuerin geschimpft. Doch sie bleiben ihrer Linie treu. „Wir sind leider in der Situation, dass wir Landwirten manchmal etwas unterjubel­n müssen. Dann drücke ich zum Beispiel nebenbei einen bestimmten Punkt am Tier, ohne dass der Bauer es bemerkt“, sagt Markus Kleinschmi­dt und lacht. „Von der Akupressur erzähle ich erst hinterher, wenn der Erfolg sichtbar ist.“

Auch Georg Hammerl hat die Erfahrung gemacht, dass sich Landwirte, vor allem Männer, nur zögerlich mit alternativ­en Methoden anden. freunden. Er leitet das Lehr-, Versuchsun­d Fachzentru­m für Milchviehu­nd Rinderhalt­ung im oberbayeri­schen Achselschw­ang. Das

Schulmediz­inern fehlen die Beweise

Zentrum hat einmal einen Kurs in Rinder-Taping angeboten, der jedoch auf wenig Interesse gestoßen sei. „Wahrschein­lich zu speziell“, vermutet Hammerl. Dabei sind die bunten Bänder niemandem fremd: Sportler kleben sie sich auf Waden oder Schultern, um Muskeln zu aktivieren.

Generell wird das Thema Tierwohl laut Hammerl immer wichtiger. In modernen Stallungen stünden Massagebür­sten oder Kuhduschen bereit. Letztere schalten sich ein, wenn es den Kühen zu warm wird – das ist bereits ab 20 Grad der Fall. Auch Homöopathi­e werde in der Praxis häufig angewendet. „Die Kuh soll relaxen und wenig Stress haben. Das ist die beste Vorsorge für Krankheite­n und dann braucht man weniger Medikament­e. Dass sie mehr Milch gibt, ist ein angenehmer Nebeneffek­t.“

Auch Musik kann diesen Effekt haben. Forscher der Universitä­t von Leicester haben 2001 herausgefu­nden, dass langsame Musik – die „Pastorale“von Beethoven oder „Everybody hurts“von REM – eine Herde beruhigt und deren Milchleist­ung erhöht. Rockmusik wirke dagegen kontraprod­uktiv. Grund ist der Rhythmus: Die Tiere passen Atmung und Herzschlag an.

Andrea Kleinschmi­dt spricht daher ruhig mit Kälbchen Juni, bevor sie es mit einer Akupunktur­nadel sticht. Juni leckt mit ihrer Zunge über die Hand der Frau, stupst sie mit ihrer Schnauze. „Tiere spiegeln ihre Besitzer. Sind die entspannt, sind es auch die Tiere.“

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Markus und Andrea Kleinschmi­dt sind Tierärzte und behandeln ihre Patienten nicht nur nach der Schulmediz­in – auch Akupunktur gehört zu den Methoden, die sie anwen den.

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