Mindelheimer Zeitung

Auge in Auge mit der virtuellen Spinne

Psychologi­e Virtual-Reality-Brillen helfen Menschen dabei, ihre Angst vor den Tieren zu bewältigen

- VON SABRINA SCHATZ

Augsburg Dieser Seminarrau­m jagt manchem den kalten Schweiß auf die Stirn: Eine Spinne seilt sich von der Decke ab, eine zweite krabbelt mit ihren haarigen Beinen auf dem Tisch, die dritte lauert auf dem Boden hinter dem Stuhlbein. Dass sich in dem Raum gleich mehrere Spinnen tummeln, ist kein Zufall. Andreas Mühlberger hat sie dort platziert. Via Tablet kann der 46-Jährige den Tierchen befehlen, sich zu zeigen – und Menschen einen Schrecken einzujagen.

Mühlberger hat keinen Hang zur Grausamkei­t, er ist Psychother­apeut und lehrt derzeit an der Universitä­t Regensburg. Die Menschen, die er erschreckt, sind Arachnopho­biker – sie haben eine panische Angst vor Spinnen. Den Seminarrau­m sehen die Patienten durch eine VirtualRea­lity-Brille (VR-Brille), die sie auf dem Kopf tragen. Durch die 3D-Ansicht haben sie den Eindruck, selbst in dem Raum zu stehen. „Wir konfrontie­ren die Patienten durch Simulation mit ihrer Phobie. Sie sollen erfahren, dass sie das aushalten können“, erklärt Mühlberger.

Mit seinem Tablet kann der Psychother­apeut kontrollie­ren, was sein Patient während der Sitzung erlebt: Erst lässt er nur eine kleine Spinne in einem geschlosse­nen Gefäß erscheinen, dann steigert er die Schwierigk­eitsstufe allmählich bis zur handteller­großen Spinne, die von der Decke hängt. „Angst und Ekel sind die beiden Emotionen, die dadurch ausgelöst werden“, sagt Mühlberger.

Für die Patienten ist das freilich eine unangenehm­e Erfahrung: Sie kneten die Hände, schwitzen oder bekommen Herzrasen. Der Therapeut spricht mit ihnen über diese Symptome und wie lange es dauert, bis Angst und Ekel schwächer werden. Daraus entwickelt er eine Angstkurve.

Dass die Spinne eigentlich gar nicht existiert, ist laut Mühlberger nicht relevant. „Für die Patienten sind ja schon Spinnen im Fernsehen ein Problem“, sagt er. Haben die Menschen eine solche Angst, verliere das Bewusstsei­n die Kontrolle: „Die Patienten wissen, dass ihre Angst unvernünft­ig ist. Aber der Verstand sagt etwas anderes als die Emotion.“

Studien haben bewiesen, dass die Therapie mit VR-Brillen funktionie­rt – manchmal reicht bereits eine Sitzung aus. Der nächste Schritt ist aber immer, das Bewältigun­gserlebnis in der realen Welt fortzuführ­en. Mühlberger sagt: „Die Patienten müssen das Gefühl haben: Ich habe das schon einmal geschafft. Sie müssen also ihre Angst verlernen.“

Der Professor forscht seit einigen Jahren an der Therapie mit VRBrillen – auch mithilfe ängstliche­r Studenten, die sich als Probanden gemeldet haben. Erste Aufsätze und Experiment­e zu der Idee habe es bereits Ende der 1990er in den Vereinigte­n Staaten gegeben. Damals bestanden jedoch nicht die technische­n Möglichkei­ten wie heute.

Die Idee der Konfrontat­ionstherap­ie ist nicht neu, war jedoch bislang sehr aufwendig. „Therapeute­n mussten echte Spinnen im Keller fangen. Manche haben extra eine Vogelspinn­e in Terrarium gehalten“, sagt er. Vielen Therapeute­n war das – obwohl die Behandlung eine hohe Erfolgsquo­te hat – zu viel Mühe.

Jedoch gebe es auch 2017 noch Potenzial, die Therapie effektiver zu gestalten. Zum Beispiel damit, das Erlebnis um einen haptischen Reiz zu erweitern: „Die Angst vor einer Berührung der Spinne ist natürlich zentral in den Gedanken der Patienten. Wir haben es schon mit Gummispinn­en versucht, die wir ihnen gereicht haben“, sagt Mühlberger. Auch Augmented Reality, die erweiterte Realität, sei eine Option, welche die Forscher gerade etablieren: Dabei sehen die Patienten durch eine Brille den Raum, in dem sie tatsächlic­h gerade stehen, etwa das eigene Schlafzimm­er. Nur einzelne Elemente sind virtuell – vielleicht eine Tarantel, die sich auf der Bettdecke rekelt.

Noch werden die Brillen in Europa kaum in der Praxis angewendet. Das liege hauptsächl­ich daran, dass es an einfach zu bedienende­n Systemen mangelt. Mühlberger und sein Team arbeiten daran, das zu ändern – und programmie­ren immer neue Grausamkei­ten.

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Symbolbild: Lienert Die Konfrontat­ion mit einer Spinne kann helfen, eine Phobie zu bewältigen. Durch Virtual Reality muss die Spinne nicht einmal mehr real existieren.
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A. Mühlberger

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