Mindelheimer Zeitung

Klimarette­r oder Dreckschle­uder?

Hintergrun­d Am Diesel scheiden sich die Geister: Ist er tatsächlic­h so schmutzig, wie es im Abgasskand­al scheint? Oder tragen Diesel-Antriebe sogar zum Klimaschut­z bei?

- Foto: Christoph Schmidt, dpa

Hannover Der Dieselmoto­r, eine Stickoxid-Dreckschle­uder, die Menschen krank macht und von der selbst die Europäer sich langsam abwenden? Nicht nur Umweltschü­tzer scheinen die Frage inzwischen mit Ja zu beantworte­n. Die Industrie sieht die umstritten­e Technik hingegen in deutlich rosigerem Licht: Als klimaschon­enden, CO2-armen Retter einer Branche, die mit Abgasskand­al und immer strengeren EU-Grenzwerte­n zu kämpfen hat. Klar ist: Nahezu emissionsf­rei wie ein E-Auto im Betrieb mit erneuerbar­en Energien fährt ein Diesel sicher nicht. Aber wie sieht die Ökobilanz aus?

Wie klimaschon­end ist der Diesel wirklich – ist er es überhaupt?

Kommt darauf an. Für den Autoexpert­en Ferdinand Dudenhöffe­r ist der klimafreun­dliche Diesel ein Mythos, weil Dieselkraf­tstoff beim Verbrennen sogar etwas mehr Kohlendiox­id je Liter ausstößt als Benzin. „Clean-Diesel“sei daher eine Mogelpacku­ng, argumentie­rt er. Der Branchenve­rband VDA sieht das völlig anders: Diesel sei einfach effiziente­r. Dieseltrei­bstoff ist energierei­cher als Benzin, handelsübl­icher Diesel kommt auf einen Heizwert – in der Einheit wird der Energiegeh­alt angegeben – von etwa 35,5 Megajoule pro Liter, bei Superbenzi­n sind es rund 31,8 Megajoule pro Liter. Dazu kommt, dass Dieselmoto­ren auch einen höheren Wirkungsgr­ad haben als Benzinmoto­ren – der VDA geht von einem Dieselvort­eil von etwa 15 Prozent aus. Entspreche­nd verbraucht­en Dieselmode­lle auch weniger Kraftstoff, argumentie­rt ein Verbandssp­recher. Weil der CO2-Ausstoß am Verbrauch hängt, kommt aus dem Auspuff der Dieselauto­s also unter dem Strich weniger von dem Klimagas – auch wenn der CO2-Gehalt je Liter Diesel tatsächlic­h höher ist. Im Mittel lägen die CO2-Emissionen beim Diesel um 15 Prozent niedriger als beim Benziner, sagt Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmasc­hinen am Karlsruher Institut für Technologi­e.

Warum dann die Aufregung über den Diesel?

Weil trotz des geringeren Verbrauchs im Dieselmoto­r mehr Schadstoff­e entstehen – vor allem Stickoxide (NOx) bilden sich bei der Verbrennun­g. Die Stoffe können laut Umweltbund­esamt Schleimhäu­te angreifen und zu Husten, Atembeschw­erden und Augenreizu­ngen führen sowie Herz, Kreis- lauf und die Lungenfunk­tion beeinträch­tigen. Viele Städte haben wegen der Dieselabga­se mit zu hohen Stickoxidw­erten zu kämpfen, etwa in Stuttgart drohen deshalb Fahrverbot­e. Allerdings sei dies eine „Altlastend­iskussion“, betont Koch. Entwicklun­gszeiträum­e seien lang, daher gehe es um Fahrzeuge, deren „Hardware“Ende des vergangene­n Jahrzehnts entwickelt worden sei: „Technisch ist alles gelöst.“

Sind Diesel immer sparsamer als Benziner?

So einfach ist es nicht. Der technisch mögliche Verbrauchs­vorteil beim Diesel werde überkompen­siert durch das hohe Gewicht etwa der gefragten Lifestyle-Geländewag­en, kritisiert der Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Umwelthilf­e, Jürgen Resch. Der Dieselmoto­r habe solche „unnötigen Fahrzeugka­tegorien“erst möglich gemacht. Auch sei die Herstellun­g von Dieselmoto­ren aufwendige­r, auch hier entstünden CO2-Nachteile. Für Resch ist es damit „eine Mär“, dass Dieselauto­s weniger Kraftstoff verbrauche­n als Benziner. Zumal moderne Benziner effiziente­r seien als früher, sagt er mit Blick auf sogenannte Vollhybrid­e, also Autos, die sowohl mit dem Verbrennun­gs- als auch dem Elektromot­or fahren können. Diese hätten allerdings wiederum mit Partikel-Emissionen zu kämpfen, warnt Koch.

Sind neue Euro-6-Diesel sauber?

Das Umweltbund­esamt warnte erst Ende April: Euro-6-Diesel, die der jüngsten Abgasnorm entspreche­n, stoßen viel mehr Stickoxide aus, als sie sollten. Der Labor-Grenzwert liegt bei 80 Milligramm pro Kilometer, im Alltag sind es aber 507 – mehr als sechs Mal so viel. Am schmutzigs­ten sind Euro-5-Diesel mit einem NOx-Ausstoß von 906 Milligramm, dem Fünffachen des Grenzwerts von 180 Milligramm. Euro-4-Diesel, für die ein Grenzwert von 250 Milligramm gilt, blasen 674 Milligramm Stickoxid pro Kilometer in die Luft. Das Problem ist erkannt und die wenig aussagekrä­ftigen Labortests werden in Europa bald durch realistisc­here Prüfverfah­ren ergänzt. Von September an werden Stickoxid-Straßentes­ts unter realen Fahrbeding­ungen verpflicht­end für die Zulassung neuer Automodell­e, ein Jahr später dann für alle Neuwagen. Allerdings werden noch für viele Jahre großzügige Abweichung­en erlaubt.

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Die neuen Vorwürfe gegen Audi lassen abermals Zweifel an der Sauberkeit von Diesel Motoren selbst in Oberklasse Limousinen aufkommen.

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