Bilder von Bayern
Interview Einen ganzen Tag lang sendet der nichts anderes als eine Dokumentation. Für „24h Bayern“haben Filmteams Menschen aus dem Freistaat in ihrem Alltag begleitet, auch in unserer Region. Lohnt sich das Einschalten?
Herr Bönte, am 3. Juni 2016 waren 80 Regisseure mit ihren Filmteams in Bayern unterwegs. Das Resultat ist am Pfingstmontag zu sehen. Dann läuft im BR Fernsehen die Doku „24h Bayern“– von 6 Uhr bis 6 Uhr am nächsten Morgen. Nichts anderes. Sie sind der Programmchef des BR – haben Sie schon alles gesehen?
Andreas Bönte: Ja, aber nicht am Stück. Ich habe mehrere Stunden gesehen, es hat mich regelrecht eingesaugt. Ich wollte einfach wissen, wie es weitergeht. Zum Beispiel mit Veronika, die bei Amazon in der Nähe von Augsburg arbeitet. Für mich war unter anderem völlig neu, wie in dieser riesigen Halle in Graben die Pakete zusammengestellt werden. Das ist ein Blick hinter die Kulissen, der mich fasziniert hat.
Was ist so interessant am Alltag von Menschen, die – wie jeder – frühstücken, zur Arbeit gehen, Abendessen, fernsehen, schlafen?
Franz X. Gernstl: Interessant ist, dass wir diesen Alltag nicht kennen. Die einzelne Geschichte eines Menschen und seines Alltags haut einen vielleicht nicht vom Stuhl. Aber die Gesamtheit der Alltagsgeschichten übt einen Reiz aus.
Sie erwandern sich in „Gernstl unterwegs“seit Jahren Bayern und lassen die Menschen zu Wort kommen. Was ist für Sie als Dokumentarfilmer das Besondere daran, einen ganzen Tag zu dokumentieren?
Gernstl: Mein Ansatz in „Gernstl unterwegs“ist ja ein anderer: Ich suche nach besonders interessanten Typen, die besonders interessante Sachen machen. Bei „24h Bayern“bekommt man einen Blick auf das ganze Land, indem wir Menschen einen Tag begleitet haben. Wenn da etwa Angler auf ihre Karpfen warten, ist das zwar nicht sonderlich aufregend, aber auf eine andere Art interessant. In anderen Dokumentationen würde man das vielleicht rausschneiden. Wir zeigen es, weil es überaus wahrhaftig und echt ist.
Wie haben Sie die Menschen gefunden, die Sie mit der Kamera begleiteten?
Gernstl: Wir hatten eine wahre Armada an Rechercheuren, aufgeteilt auf die Regierungsbezirke. Sie haben zum Teil fünf, sechs Monate nach Menschen gesucht, die einen Querschnitt Bayerns darstellen. Unsere Auswahl ist sogar statistisch untermauert.
Ist die Gefahr nicht groß, KlischeeBilder zu liefern?
Bönte: Wir haben von Anfang an gesagt: Das wird kein Image-Film. Hier wird nichts schöngefärbt. Wir haben versucht, Bayern zu zeigen, wie es sich momentan darstellt. Und zwar über diese 80 Menschen, die wir begleitet haben. Von der Tierärztin bis zum Gletscherforscher. Natürlich ergibt das nicht ein vollständiges Bild, aber einen guten Eindruck von Bayern im Jahr 2016. Gernstl: Ich freue mich immer, wenn Vorurteile nicht stimmen. Aber Bayern ist auch ein Klischee-Land. Das Bayern, das man im Ausland kennt, ist Oberbayern – mit den Geranien vorm Haus, den Lüftlmalereien, dem Oktoberfest. Ich denke, wir sind nicht darauf hereingefallen.
Welches Bild haben Sie denn nun von Bayern, nachdem Sie die Dokumentation gesehen haben?
Bönte: Das ist eine unheimlich schwierige Frage. Mir war schon immer bewusst, dass man Bayern kaum erklären kann. Ich glaube inzwischen aber, dass es so etwas wie ein Band gibt, das die Bayern miteinander verbindet.
Sehen Sie das auch so, Herr Gernstl?
Gernstl: Ja, vielleicht ist das die bayerische Seele. Da ist schon was dran. Man merkt doch sofort, ob einer aus Bayern oder aus Norddeutschland kommt. Nach dem Anschauen der Doku könnte ich jetzt aber nicht sagen: So ist Bayern. Daraus könnte allerdings ein Heimatgefühl entstehen, das mir behagt. Gerade wegen der unterschiedlichen Leute, die im Freistaat leben. Sie machen ein Bayern aus, das nicht festzumachen ist, und das bestimmt nicht in die Fremdenverkehrsreklame passt.
Bönte: Ich habe übrigens von der Doku gelernt, dass Bayern bunter ist, als ich das im Kopf hatte. Das wird für mich als jemand, der das TV-Programm des BR Fernsehens plant, für die nächsten Jahre garantiert bestimmend sein.
Wie meinen Sie das?
Bönte: Wir müssen uns als BR viel breiter aufstellen, viel regionaler, damit wir noch näher an die Lebenswirklichkeiten der Menschen in allen Teilen Bayerns herankommen. Daran arbeiten wir, indem wir unsere regionale Berichterstattung ausweiten – zum Beispiel aus unserem neuen „BR-Studio Schwaben“in Augsburg. Wir wollen das Land so darstellen, wie es ist. Für mich ist „24h Bayern“die Blaupause dafür.
Sie verzichten für einen Tag auf das komplette übliche BR-Programm.
Bönte: Offen gesagt war zunächst nicht jeder im BR davon begeistert, dass seine Sendung einmal nicht
läuft. Wobei wir unsere Nachrichtensendungen, etwa die „Rundschau“, zeigen werden – allerdings auf ARD-alpha. Sollte es zu einer Katastrophe kommen, reagieren wir selbstverständlich – als öffentlichrechtlicher Sender haben wir schließlich eine Berichtspflicht.
Wie rechtfertigen Sie die Produktionskosten, zumal der BR ja sparen muss?
Bönte: Die Kosten lagen bei rund 3,7 Millionen Euro, was in etwa gut zwei „Tatort“-Folgen entspricht. Aber das Projekt ist für das Image des Bayerischen Rundfunks überaus wichtig, weshalb es keinen Erwartungsdruck gibt, was Einschaltquoten angeht. Es wird zudem gegen Ende des Jahres DVDs mit den je halbstündigen Folgen der GesamtDokumentation geben. Wir planen außerdem, Ausschnitte aus „24h Bayern“im Laufe der nächsten Jahre immer wieder auszustrahlen.
„24h Bayern“ist ein Prestige-Projekt.
Bönte: Und eine Zeitkapsel, die nachfolgende Generationen immer wieder öffnen können. Wir werden die Doku dem Museum der Bayerischen Geschichte, das 2018 in Regensburg eröffnet wird, vermachen. Interview: Daniel Wirsching Andreas Bönte und Franz X. Gernstl gehören zu den Machern von „24h Bayern“. Bönte leitet den Pro grammbereich BR Fernsehen, ARD al pha, 3sat. TV Zuschauern ist er als Mode rator der BR Sendung „Nachtlinie“be kannt. Gernstl ist Produzent, Dokumen tarfilmer, Gesellschafter und Geschäfts führer der megaherz gmbh.