Ladendiebe erbeuten Millionen
Kriminalität Täter schlagen in der Region in allen Branchen zu. Weshalb so viele von ihnen unbemerkt stehlen können und mit welchen Methoden sich Einzelhändler gegen sie wehren
Allgäu Ein Drogeriemarkt in Kempten vor einer Woche. Eine 16-Jährige streift durch den Laden. Heimlich steckt sie einen Lippenstift und ein Parfum ein, ohne zu bezahlen. Eine Mitarbeiterin beobachtet sie dabei, stellt sie zur Rede und ruft die Polizei.
Das ist einer von tausenden Fällen. 56 Millionen Euro Schaden entstehen jährlich in Schwaben durch Ladendiebstahl, sagt der Geschäftsführer des Schwäbischen Handelsverbands, Wolfgang Puff. Für den Wirtschaftsraum Allgäu ließen sich keine Zahlen ermitteln, denn die Dunkelziffer sei hoch. Die Größenordnung dürfte aber bei einem Drittel davon liegen.
„Ladendiebstahl betrifft ausnahmslos alle Einzelhändler“, sagt Puff. Besonders häufig schlugen die Täter aber in Drogerie- und Elektromärkten zu, denn dort gebe es viele kleine Artikel. Diebstähle bemerkt Puff vermehrt auch in Bekleidungsgeschäften. „Umkleidekabinen sind Grauzonen. Da lässt sich schnell etwas einstecken.“Jedes Unternehmen rechne mit einem Umsatzverlust durch Diebstahl von einem bis 1,5 Prozent jährlich. Darin enthalten ist laut Puff auch jene Ware, die von Angestellten oder Lieferanten abgezweigt wird.
Im vergangenen Jahr wurden im Allgäu über 1400 Ladendiebstähle bei der Polizei angezeigt, bei einer Schadenssumme von rund 200 000 Euro. Puff weist aber darauf hin, dass diese eigentlich in Millionenhöhe liege, denn die Dunkelziffer der Diebstahlfälle sei weitaus höher. „Wir liegen bei etwa 90 Prozent.“
Manche Unternehmen scheuten sich Anzeige zu erstatten, weil sie die Polizei nicht im Haus haben wollten. Die meisten Diebstähle blieben aber schlicht unbemerkt. Die Unübersichtlichkeit vieler Ge- schäfte spielt Tätern zum Beispiel in die Karten. „Versteckte Winkel ermöglichen es erst, zuzuschlagen“, meint Puff. Zudem herrsche in manchen Läden Personalmangel. Nicht jedem Kunden und seinem Verhalten könne so ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden. Und die Maschen der Diebe würden immer ausgefuchster. Ein Beispiel: Der Täter legt eine präparierte Handtasche auf einen Warenstapel und gibt vor, darin etwas zu suchen. Tatsächlich aber öffnet er eine Klappe im Boden der Tasche und lässt darin die Ware verschwinden. Einen klassischen Dieb gibt es übrigens nicht. Langfinger stammen laut Polizeisprecher Marcel Fischer aus allen Alters- und Bevölkerungsschichten und so vielfältig sind auch ihre Motive. Er nennt etwa Mutproben Jugendlicher als Ansporn, die vor Freunden gut dastehen wollen. Aber natürlich auch Menschen in finanzieller Not und wieder andere seien in Banden organisiert.
Die Händler stünden vor einem Dilemma, meint Puff. Wer seine Ware einschließe, riskiere geringeren Umsatz. Wer sie offen präsentiere, müsse die Aufmerksamkeit des Personals hochhalten. „Die Mitarbeiter haben aber natürlich noch viele andere Aufgaben“, gibt Puff zu bedenken. In größeren Geschäften seien deshalb häufig Ladendetektive im Einsatz, Kameras aufgehängt und die Ware mit Sicherheitsetiketten versehen.
Für die Geschäfte lohnt es sich jedenfalls, aufmerksam zu sein. Das zeigt ein weiterer Blick in die Statistik. Die Aufklärungsquote der Polizei liegt laut Fischer bei über 90 Prozent, wenn der Diebstahl bemerkt und gemeldet wurde. Dennoch weiß Puff, dass viele Händler frustriert sind. Selbst wenn die Täter gefasst werden, drohen seiner Meinung nach nur in wenigen Fällen ernsthafte Konsequenzen.