Mindelheimer Zeitung

Minister ziehen Konsequenz­en aus Mordfall

Kriminalit­ät Zur Vorgeschic­hte der Bluttat in einem Asylbewerb­erheim in Arnschwang gibt es immer noch Ungereimth­eiten. Viele stellen sich dieselbe Frage: Warum nur lebte der Straftäter in einer Gemeinscha­ftsunterku­nft?

- VON ULI BACHMEIER UND JAKOB STADLER

München/Augsburg Knapp eine Woche nach der Bluttat im oberpfälzi­schen Arnschwang, bei der ein fünfjährig­er Bub durch die Messeratta­cke des afghanisch­en Asylbewerb­ers Mostafa J. zu Tode kam, sind noch immer nicht alle Hintergrün­de geklärt. Ungereimth­eiten gibt es insbesonde­re zu der Frage, warum der Afghane, der den Behörden als gefährlich­er Straftäter bekannt war und der nach Verbüßung seiner Haft eine Fußfessel tragen musste, in einer Gemeinscha­ftsunterku­nft untergebra­cht wurde.

Die Regierung der Oberpfalz gibt an, dass ihr ein Urteil, in dem die Gefährlich­keit des Mannes dokumentie­rt war, nicht vorgelegen habe. Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) bemüht sich um Aufklärung. Er vermutet, dass es auf einen „stinknorma­len Bürofehler“zurückzufü­hren ist, dass das Urteil nicht bei den Akten war. Über die des Mannes aber konnte seiner Ansicht nach dennoch kein Zweifel bestehen. Schließlic­h war bekannt, dass er eine Fußfessel tragen musste.

Der 41-Jährige, der bei dem Polizeiein­satz am Samstag getötet wurde, war wegen schwerer Brandstift­ung fast sechs Jahre in Haft. Er verbüßte seine Strafe in der Justizvoll­zugsanstal­t in Landsberg am Lech von 2009 bis 2015. In dieser Zeit konvertier­te der frühere Moslem zum Christentu­m. Weil er deswegen in Afghanista­n verfolgt worden wäre, gelang es ihm, vor dem Verwaltung­sgericht München ein Abschiebun­gsverbot zu erstreiten.

Kurz vor Ende seiner Haft entschied die Strafvollz­ugskammer in Landsberg, dass von dem Afghanen weiter eine Gefahr ausgehe. Zu diesem Ergebnis kam die Kammer nach Gesprächen mit dem Afghanen selbst, einem Gutachter und Mitarbeite­rn der JVA. Um seine Frau zu schützen, wurde ein Kontaktver­bot verhängt. Außerdem sollte Mostafa J. nach seiner Entlassung nicht in der Nähe seiner Frau in Oberbayern untergebra­cht werden, sondern in der Gemeinscha­ftsunterku­nft in der Oberpfalz. Die Kammer ordnete eine elektronis­che Fußfessel an, um das Kontaktver­bot zu überwachen.

Anfang Januar 2017 gab es dann turnusmäßi­g einen zweiten Beschluss. Darin ist laut Claus Pätzel vom Augsburger Landgerich­t, dem die Landsberge­r Strafvolls­treckungsk­ammer untersteht, von einer „fortbesteh­enden Gefährlich­keit“die Rede. Der Beschluss wurde an den Afghanen, seinen Bewährungs­helfer, die Staatsanwa­ltschaft und an die Führungsau­fsichtsste­lle in Regensburg verschickt. Der Mann habe seine Schuld weiterhin nicht eingesehen, zudem habe ein Gutachter eine Polytoxiko­manie festgestel­lt, also eine Abhängigke­it von verschiede­nen Substanzen.

Die Regierung der Oberpfalz erklärte in einer Pressemitt­eilung, dass ihr zwar bekannt war, dass der Mann ein wegen schwerer BrandGefäh­rlichkeit stiftung verurteilt­er Straftäter war, der eine Fußfessel tragen muss. Das Urteil des Verwaltung­sgerichts München vom 23. Juli 2014, in dem darauf hingewiese­n wird, wie gefährlich der Mann sei, habe die Regierung aber erst vergangene Woche auf eigene Anforderun­g erhalten.

„Wir hatten nur die Unterbring­ung zu organisier­en“, sagt Markus Roth, Sprecher der Regierung der Oberpfalz. Als Asylbewerb­er habe man den Mann in einer Gemeinscha­ftsunterku­nft unterbring­en müssen. „Man kann ihn dann ja nicht einfach in eine Garage stecken“, sagt Roth. In der Unterkunft sei der Mann zwei Jahre lang nicht auffällig geworden. In einer Mitteilung heißt es: „Es war kein feindselig­es Verhältnis zwischen den benachbart­en Parteien bekannt.“

Nach Recherchen des Innenminis­teriums gibt es in Bayern aktuell vier straffälli­g gewordene abgelehnte Asylbewerb­er, die ihre Haftstrafe­n vollständi­g verbüßt haben und jetzt eine Fußfessel tragen müssen. Sie können bisher nicht abgeschobe­n werden. Einer kommt aus Westafrika. Für ihn sind keine Reisedokum­ente zu beschaffen. Drei kommen aus dem Irak, für den ein generelles Abschiebun­gsverbot gilt. Herrmann will in diesen Fällen, wie er sagt, „alle Hebel des Rechtsstaa­ts in Bewegung setzen“.

In einer gemeinsame­n Presseerkl­ärung kündigten Innen-, Justizund Sozialmini­sterium an, „eine noch bessere Verzahnung“aller beteiligte­n Behörden zu prüfen. Es müsse sichergest­ellt sein, dass alle relevanten Informatio­nen die Unterbring­ungsverwal­tung erreichen. Schließlic­h müssten bei der Verteilung der Asylsuchen­den mit Gefährdung­spotenzial vor Ort einzelfall­bezogene Sicherheit­skonzepte entwickelt werden. Dazu gehöre etwa die Trennung verfeindet­er Ethnien oder Glaubensgr­uppen. Auch die Gefahren für besonders schutzbedü­rftige Personengr­uppen wie Frauen oder Kinder müssten berücksich­tigt werden. »Kommentar

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